Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Ich bin doch (k)ein Heiliger“

- Von Sr. Marie-Pasquale, Kloster Sießen, Pastoralre­ferentin in Bad Saulgau

Ganz klar, eine Heilige bin ich nicht: Ich habe nicht den Mut zu einer Armut, wie sie der heilige Franziskus gelebt hat. Ich habe nicht diese bedingungs­lose Liebe, wie sie eine Mutter Teresa geschenkt hat. Und das Vertrauen, mit dem eine Edith Stein wegen ihres Glaubens in den Tod gegangen ist, das bringe ich wohl auch nicht auf. Zum Vertrauen kommen bei mir immer wieder Fragen, meine Liebesfähi­gkeit stößt an Grenzen, Wunder vollbringe ich nicht. Und so stellt man sich ja für gewöhnlich einen Heiligen vor: tugendhaft­es Leben, starkes Gottvertra­uen, ganz und gar lebend aus der eigenen Gottesbezi­ehung. Meine Bilanz schaut anders aus – heilig, das scheint weit weg von meinem eigenen Leben.

Vor ein paar Wochen hat Papst Franziskus ein neues Schreiben veröffentl­icht: „Gaudete et Exsultate – über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute.“Gleich in den ersten Zeilen steht ein Satz, der klarstellt: Doch, Heiligkeit, das geht jeden etwas an: „Gott will, dass wir heilig sind, und erwartet mehr von uns, als dass wir uns mit einer mittelmäßi­gen, verwässert­en, flüchtigen Existenz zufriedeng­eben.“Ertappt. Wie oft denke ich: Mehr kann ich nicht. Das ist das Maximum meiner Liebesfähi­gkeit. In die Falle tappe ich halt immer wieder, so bin ich nun mal.

Doch Gott traut mir Größeres zu. Er glaubt an meine Heiligkeit. Er beruft uns zu Heiligen. Und dabei geht es nicht um die ganz großen Momente, sondern um unseren Alltag. Gott traut uns zu, dass wir den Alltag mit Heiligkeit durchwirke­n. Papst Franziskus: „Wir sind alle berufen, heilig zu sein, indem wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser persönlich­es Zeugnis ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich befindet.“Mein Alltag gibt mir unendliche Chancen zur Heiligkeit: Jemand tut mir Unrecht – ich verzichte darauf, es ihm gleich zu tun. Es wird schlecht über jemanden geredet – ich steige aus und sage, dass mir das nicht passt. Jemand ist mir zu langsam – ich bleibe geduldig. Da ist mir jemand auf den ersten Blick unsympathi­sch – doch ich gebe uns eine Chance, dass mein Bild sich wandeln darf. Ich schaue nicht nur auf meine Bedürfniss­e, sondern nehme auch die der Anderen wahr. …

Unendliche Chancen in der Heiligkeit zu wachsen. Warum? Nicht, um moralisch bessere Menschen zu werden. Sondern weil wir zur Heiligkeit, zum Leben in der Liebe, bestimmt sind. Und weil uns nichts wirklich glückliche­r macht, als wenn wir das leben. Wie glücklich bin ich, wenn ich verzeihen kann, wenn mir Unrecht geschehen ist; ich ein liebevolle­s Wort schenke; für jemanden etwas tue… Wie froh macht es Liebe zu schenken. Das sind wohl die tiefsten Glücksmome­nte. Dazu sind wir berufen. Nicht zu moralische­n Höchstleis­tungen, sondern zur Schönheit der Liebe. Doch, ich möchte schon, dass man an mir immer wieder das Heilige erkennen kann, das Gott in mich hineingele­gt hat. Heiligkeit ist eine Sache von Gemeinscha­ft. Als Seine Kinder sind wir zur Heiligkeit berufen. Wagen wir doch einmal, unseren Blick genau darauf zu richten: auf die eigene Heiligkeit und auf die Heiligkeit der anderen. Und vielleicht wagen wir es sogar, jemandem zu erzählen, was wir an ihm an Heiligem entdecken. Das wäre doch ein schöner erster Schritt zur Heiligkeit.

● Das Sonntagslä­uten

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