Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Schuld und Sühne
Biberacher Loris Karius beschert Liverpool fürchterliche Nacht und bittet um Vergebung
KIEW (SID/dpa/falx) - Die Fehler von Loris Karius beim ChampionsLeague-Finale, sie werden wohl bleiben. Wie der aus Biberach stammende Torhüter des FC Liverpool Real Madrids Stürmer Karim Benzema mit einem missglückten Abwurf quasi zum 1:0 zwang, wie er Gareth Bales 35-Meter-Schuss zum 3:1-Endstand durch die Finger flutschen ließ. Bleiben wird aber auch, wie Karius nach dem Spiel vor den Liverpooler Fans stand, weinend und gestenreich um Vergebung bat. Das hatte Größe. Und wie die Liverpooler Fans Loris Karius, während sich in den sozialen Netzwerken längst Spott und die Häme breit gemacht hatte, für den weinenden Karius die Vereinshymne anstimmten, „You’ll never walk alone“, „nie wirst du alleine gehen“: Das machte Gänsehaut.
„Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, dann würde ich es tun“, sagte Loris Karius später. Und: „Es tut mir leid für alle, für das Team, für den ganzen Club. Ich habe sie im Stich gelassen. Diese Tore haben uns den Titel gekostet.“Auch am Tag danach: „Ich habe immer noch nicht wirklich geschlafen. Die Szenen spuken wieder und wieder in meinem Kopf herum“, schrieb Karius auf Twitter und entschuldigte sich abermals bei den Fans: „Ich weiß, dass ich es verbockt und euch alle im Stich gelassen habe.“
Karius, dem oberschwäbischen Torwart der Reds, war im Spiel der Spiele, im Endspiel der Champions League, der schlimmste Abend seiner Laufbahn widerfahren. Nach dem Schlusspfiff, nach dem 1:3 (0:0) sank er in sich zusammen, als Erste trösteten ihn die Sieger. Sie konnten ihn ebensowenig trösten wie die Mitspieler und Trainer Jürgen Klopp, der ihn schließlich in den Arm nahm und aufmunternd einen Klaps gab. „Eine Schande, dass es in so einem Spiel passiert“, sagte Trainer Jürgen Klopp, „das ist Wahnsinn, das wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht.“
Im Konfettiregen stand so zum dritten Mal in Serie Real Madrid. Im Konfettiregen standen so Toni Kroos, Cristiano Ronaldo, Bale und die anderen Königlichen.
Oliver Kahn, Ex-Weltklassekeeper und mittlerweile Experte beim ZDF, fand gar, „etwas Brutaleres“habe er bei einem Torwart noch nicht gesehen, und Kahn hat seit der WM 2002 selbst Erfahrung mit einem schwerwiegenden Patzer. Er schloss nicht aus, dass der Horror von Kiew die Karriere von Karius gefährden könne. „Das hoffe ich nicht“, meinte Klopp, „manche Leute sind aber doof genug, ihm das immer wieder aufs Brot zu schmieren.“
Nachfolger werden gehandelt
Liverpool-Legende Steven Gerrard prophezeite: „Er wird einen schweren Sommer haben.“Eine TorhüterDiskussion scheint unausweichlich, war sie war in Anfield ohnehin nie ganz verstummt. Denn Karius hat seit seinem Wechsel 2016 einen schweren Stand. Nach Fehlern in der Anfangszeit hatte er schnell den Spitznamen „Flutschfinger“weg, zwischenzeitlich verlor er seinen Stammplatz an Simon Mignolet. Erst seit Jahresbeginn war er wieder die Nummer 1, danach stand in 32 Spielen insgesamt 16 Mal die Null. Das zählt nach Kiew nicht mehr.
So werden in Liverpool große Namen gehandelt. Brasiliens Nationaltorhüter Alisson Becker (AS Rom), der Slowene Jan Oblak (Atlético Madrid) und Gianluigi Donnarumma (AC Milan) werden gehandelt.
Klopp hingegen wird gewiss auch das zweite verpatzte Königsklassenfinale seiner Laufbahn (nach 2013, mit Dortmund gegen Bayern) überwinden, verdauen muss er die herbe Enttäuschung aber allemal. „Wir fühlen uns richtig schlecht. Wir wollten alles und haben nichts und noch weniger“. Sagte es und verwies so auf die erste Schlüsselszene – das verletzungsbedingte Aus von Mohamed Salah nach einer halben Stunde. Der Sturmstar war von Reals Kapitän Sergio Ramos recht entschlossen nach unten gedrückt worden. Bis dahin war der FC Liverpool am Drücker. „Wir hätten gewinnen können, wenn's nicht so mies gelaufen wäre“, sagte Klopp. Die Fortsetzung seines Finaltraumas trug er dennoch mit Fassung. „Ich bin 50, ich kann mit Niederlagen umgehen“, meinte er nach seiner sechsten Endspielpleite in Folge. Am Ende bleibe der zweite Platz. „In zehn Jahren wird keiner mehr darüber sprechen, wie wir verloren haben“, so Klopp und macht damit nicht nur Karius Mut. Es geht mir selbst nicht mehr aus dem Kopf und ich kann mit ihm fühlen, deshalb habe ich ihm gleich am Morgen geschrieben. Das hängt ihm jetzt natürlich ewig nach, aber das Bitterböse, das jetzt teilweise über ihn hereinbricht, hat er nicht verdient. Ich hoffe, dass er in Ruhe gelassen wird, auch wenn das sicherlich nicht der Fall ist. Er muss da nun durch und das verarbeiten, aber es wird seine Zeit brauchen.