Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Schuften fürs Schloss
Bei Kressbronn am Bodensee arbeitet Werner Heine seit 44 Jahren an einem mittelalterlichen Domizil
- Der Blick vom 24 Meter hohen Hauptturm des Schlosses Gießen ist grandios. Nach Süden hin erhebt sich hinter dem nahen Bodensee am Horizont die Silhouette der Schweizer Alpen. Durch die Obstanlagen bei der Gemeinde Kressbronn plätschert die Argen. Dichte Wälder bedecken die nordwärts gelegenen Hügel. Der Aufenthalt so hoch da droben bietet einen Moment zum Schwelgen.
Aber auch der Turm selber ist ein Schmuckstück, liebevoll renoviert von Werner Heine, dem Schlossherren. „Mauern, Stockwerke einbauen und einiges mehr. Der Turm hatte zuvor nur noch aus vier bröckelnden Wänden bestanden. Viereinhalb Jahre Arbeit waren es“, sagt der 82-Jährige. So viel Aufwand? Da muss der rüstige Rentner schmunzeln. Er sei mit dem Schaffen am Schloss alt geworden: „Seit ich es vor 44 Jahren gekauft habe, bin ich praktisch in jeder freien Minute am Sanieren und Restaurieren.“Höchst erfolgreich übrigens. Das meiste sei geschafft. Trotzdem sieht es nicht so aus, als wäre ein Ende der Arbeit in Sicht.
Für Heine bedeutet dies: statt feinem Schlossherrenzwirn nur zu oft Blaumann. Kein Siegelring am Finger, dafür Schwielen vom vielen Hantieren mit allerlei Werkzeug, das sich Heine organisiert hat. Das war quasi alternativlos, denn die ehemalige hochmittelalterliche Wasserburg hätte ihn um schmerzhafte Summen leichter gemacht. Die Mittel hatte er aber schlicht nicht, dafür hätte er Millionen von Euro schwer sein müssen. Während seiner aktiven Berufszeit betrieb er ein Augenoptikerund ein Hörgerätegeschäft im nahen Friedrichshafen. „Reich bin ich da nicht geworden“, sagt Heine. Umso größer war das Abenteuer, sich auf die alten Mauern einzulassen. „Man muss dafür schon ein bisschen verrückt sein“, meint Heine.
Ein Hauch von Ritterromantik
Anders ausgedrückt: Eine solche Aufgabe kann einen auch erschlagen. Bemerkenswerterweise finden sich aber immer wieder Schloss- oder Burginteressenten gerade auch im bürgerlichen Umfeld. Mancher träumt vom vermeintlichen Fürstenglanz – befeuert von billigen Fernsehfilmen, in denen der blaublütige Filmheld ein standesgemäßes Domizil bewohnt. Und dann ist da noch der Bubentraum von der Ritterromantik. Er hält sich bei Männern gerne bis ins hohe Alter. Bei Heine geht es ein wenig in diese Richtung. „In meiner Kindheit“, berichtet er, „habe ich durchaus einen starken Bezug zu Burgen gehabt.“
Die gefühlsmäßige Verbundenheit mit dem Thema ist die eine Sache, die Realität eine andere – es braucht schon ein entsprechendes Angebot. Dem Internet-Immobilienportal Immowelt zufolge sind in Baden-Württemberg gegenwärtig fünf Anlagen im Angebot, darunter eine günstige Burgruine mit Turmwohnung im unteren Neckartal für 250 000 Euro. Das ehemalige Schlosshotel von Niederstotzingen nordöstlich von Ulm hingegen kostet bereits knapp zwei Millionen Euro. Wer es noch nobler will und vielleicht ein prächtiges Loire-Schloss in Frankreich im Sinn hat, kann sich an ein Hamburger Edel-Immobilienbüro wenden. Stilecht übernimmt dann ein Freiherr Schenck zu Schweinsberg die Suche.
Sollte der Preis der Traumimmobilie im symbolischen Bereich liegen, raten die Experten: Hände weg. Ein Quasi-Geschenk bedeutet, dass hinter den Fassaden alles kaputt ist. Immerhin 200 000 Mark, also umgerechnet 100 000 Euro, zahlte Heine 1974 für Schloss Gießen. Als er zuschlug, stand dort auch nicht alles zum Besten. Über Generationen hat der frühere Rittersitz mit seinen Wehrbauten, Gebäuden und Stallungen als Hof für zwei Landwirte gedient. Nach einem Stallbrand Anfang der 70er-Jahre gaben sie das Anwesen auf. Ein Käufer versuchte daraufhin, ein Rotlichtetablissement im Gemäuer unterzubringen. Ohne Erfolg. Daraufhin kam Heine ins Spiel. „In der Schwäbischen Zeitung war eine kleine Anzeige: Schlossanwesen zu verkaufen, zehn Minuten von Friedrichshafen“, heißt es in seiner Erinnerung. Er sei wie elektrisiert gewesen.
„Praktisch eine Ruine“
„Ich schaffe die Sanierung, habe ich mir gedacht“, sagt er. Das, was ihm nun gehörte, war jedoch „praktisch eine Ruine“. Er sei aber eben vernarrt in das bröckelnde Gemäuer gewesen und deshalb gleich eingezogen. Endlich Schlossherr, wenn ihn auch manchmal das Entsetzen packte. Solche Attacken kennt im Übrigen selbst jener Adel, der noch über traditionelle hochherrschaftliche Sitze verfügt. So droht gegenwärtig einem im Bodenseeraum bekannten Grafenschloss der Hausschwamm das Dachgestühl wegzufressen. Geschätzte Sanierungskosten: knapp fünf Millionen Euro.
Prinzipiell bevorzugt es der Adel, wenn um seine Besitztümer Ruhe herrscht. Bekannt ist wenig. Dass Schlösser das Budget belasten, kann man sich gut vorstellen – allein schon, wenn man ans Heizen hoher Säle denkt oder die zerfallende steinerne Pracht im Blick hat. Durch die Medien ging, dass die gegenwärtige, auf 15 Jahre angesetzte Außensanierung der Schlossfestung Hohenzollern bei Hechingen mindestens zehn Millionen Euro kostet. Hausherr ist Georg Friedrich Prinz von Preußen. Ihm kommt entgegen, dass der Hohenzollern ein zentrales Kulturdenkmal ist. Neben Eigenmitteln kann der Prinz auch Fördermittel des Landes, des Bundes und von Denkmalstiftungen verbauen.
Das Problem beim Erhalt der geschichtsträchtigen Anlagen: Die Hände in den Schoß legen, ist, wie es heutzutage so schön heißt, nicht zielführend. Von Arnulf Freiherr von Eyb, einem Landtagsabgeordneten der baden-württembergischen CDU aus dem Hohenlohischen, ist im Zusammenhang mit Schloss Eyb folgendes Zitat überliefert: „Es gibt ständig Renovierungsbedarf. Wenn man an der einen Seite fertig ist, fängt man woanders wieder an.“Zudem spricht der Denkmalschutz noch ein gewichtiges Wörtchen mit – auch auf Heines Schloss Gießen. Ein Segen, wenn es fachmännische Hilfe und finanzielle Zuschüsse gibt. Und ein Fluch, sollte eine Sanierung durch Forderungen der Denkmalschützer exorbitant teuer werden.
Dann profitieren speziell altgediente adlige Schlossherren davon, wenn ihre Ahnen gut gewirtschaftet haben. In solchen Fällen ist Grundbesitz da, etwa Wald. Traditionell fließen Erträge in die Pflege des Herrensitzes. So war das System bereits im Hochmittelalter angelegt, als der Burgenbau begann. Ohne Güter wird es hingegen schwer – es sei denn, der stolze Eigentümer hat noch andere wirtschaftliche Grundlagen.
Vielleicht muss er auch einfach etwas tun, was in Vorzeiten unvorstellbar war. So hat Freiherr von Eyb zehn Mietparteien in seinem Schloss. Sollte eine Anlage untragbar werden, bleibt nur der Verkauf. So kam das Land Baden-Württemberg 1967 in den Besitz des Renaissanceschlosses Weikersheim im Taubertal. Der Fürst von Hohenlohe-Langenburg veräußerte es. Er benötigte nach einem katastrophalen Brand auf dem viertürmigen Hauptsitz Langenburg Geld für dessen Wiederaufbau.
Im Fall des Schlosses Gießen gab es kein zusätzliches Eigentum. Es verblieb bei den bäuerlichen Vorbesitzern. Felder, Wiesen und Obstanlagen hätten seinerzeit den Preis jedoch auch verteuert. Heine musste aber sparen. „Freunde halfen beim Arbeiten mit. Ich musste mir alle Techniken selber beibringen – vom Verputzen bis zur Zimmererarbeit. Die Elektrik ist von mir. Handwerker konnte ich mir nur selten leisten“, erzählt er. Seit sich Heine Schlossherr nennen darf, fließen alle seine Mittel ins Gemäuer. Wie viele es bisher waren, hat er nicht notiert. Eine finanzielle Entlastung bringt allein sein Mietshaus in Augsburg. Frühere Hobbys, wie etwa das Segeln, fielen der Liebe zum Schloss zum Opfer. Für andere Liebhabereien wie Filmproduktion und Tonaufnahmen baute sich Heine in der Anlage spezielle Kammern ein.
Eine Aufwertung fürs Schloss
Seit zehn Jahren wohnt Heine nicht mehr allein im Schloss: Der Einzug Wilfried Hötzingers war ein Gewinn für den Schlossherrn. Der im Ruhestand befindliche frühere Generaldirektor eines Berliner Edelhotels brachte eine gediegene Einrichtung mit aufs Schloss. Das Interieur wurde nobler. Außen aber verliert wieder mal der Mörtel seine jahrhundertealte Bindekraft. Am östlichen Staffelgiebel des 1240 begonnenen Wohngebäudes drohen sich in schwindelerregender Höhe Ziegel und Bollensteine zu lockern. Eine neue Aufgabe für Heine.
Die Frage ist, wie viel Zeit ihm das Alter noch lässt. „Hoffentlich viel“, sagt er. „Ich habe noch jede Menge Pläne.“Erben gibt es nicht. Sollte Heine das Zeitliche segnen, wird sein Schloss nach gegenwärtigen Überlegungen in eine Stiftung zum Erhalt des vollbrachten Werks eingebracht. Nur allzu gerne würde der umtriebige Rentner noch das Untergeschoss seines Hauptturmes vom Trümmerschutt aus den früheren Ruinenzeiten des Schlosses freiräumen. Es handelt sich um den von oben zugänglichen dunklen Raum, der von burgenkundigen Laien gerne als Verlies gedeutet wird. Heine scherzt: „Dort finde ich dann meinen Goldschatz.“
„Die Elektrik ist von mir. Handwerker konnte ich mir nur selten leisten.“
Schlossherr Heine über den Arbeitseinsatz in seinem Heim