Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Von wegen Versager – Russland feiert seine Helden
Nur einmal ist ein WM-Gastgeber so gut gestartet – „Wir geben den Glauben an den Fußball zurück“
ST. PETERSBURG (SID/dpa/fil) Nicht einmal Wladimir Putin, qua Amt und Selbstverständnis Präsident und oberster Patriot Russlands, hatte der Sbornaja allzuviel zugetraut bei der Heim-WM. Zu wankelmütig war das Team der russischen Nationalmannschaft in den letzten Jahren aufgetreten, zu stark die Gegner bei der WM erschienen. Und nun das: Nach dem 3:1 (0:0) im zweiten Gruppenspiel gegen Ägypten und dem 5:0 gegen Saudi-Arabien im Eröffnungsspiel, ist Russland plötzlich der beste Gastgeber der WM-Geschichte nach zwei Spielen.
Acht Tore in den ersten beiden Spielen hat in der WM-Geschichte, wie der Sportdatenanbieter Opta zählte, nur ein Gastgeber erzielt: Italien 1934. Die Italiener wurden am Ende Weltmeister. Acht Tore erzielte auch Spanien auf dem Weg zum WMTitel 2010 – jedoch im gesamten Turnier und damit in sieben Spielen. Und: mit den acht Toren hat Russland jetzt schon mehr Tore geschossen als bei seinen beiden letzten WM-Teilnahmen zusammen – in sechs Spielen. 2002 hatten die Russen in drei Partien vier Treffer erzielt, 2014 sogar nur zwei.
„Können es uns nicht erklären“
Da verwundert es nicht, dass Russland beginnt, sein eigenes Sommermärchen zu feiern. Wildfremde Menschen tanzten am Dienstag Arm in Arm über den Roten Platz, in St. Petersburg, dem Ort des Triumphs über Ägypten, überdauerte die rauschende Party sogar die ersten Sonnenstrahlen. Lebensfreude und Glücksgefühle erfassten die WMGastgeber. Die Sbornaja, die Nationalmannschaft, die Ansammlung vermeintlicher Versager, die vor dem WM-Auftakt sieben Spiele in Serie nicht gewonnen hatte, taugt offenbar doch zu etwas.
„Wir geben den Russen den Glauben an den Fußball zurück. Dabei herrschte im Land bis vor Kurzem noch Fußball-Atheismus“, schrieb die Zeitung „Sport-Express“– und wurde dann martialisch: „Wir reißen die Rivalen in Stücke, schießen unwahrscheinlich viele Tore, fliegen über das Spielfeld, begeistern die ganze Welt.“
Ganz so ist es freilich (noch) nicht. Und Ägypten war zwar ein stärkerer Gegner als Saudi-Arabien, aber eben auch kein Weltklasseteam. Dennoch überraschte es, mit welcher Leichtigkeit der Gastgeber die Ägypter und ihren Starstürmer Mohamed Salah im Griff hatten. Das Team wuchs einmal mehr über sich hinaus – sinnbildlich dafür stand Denis Tscheryschew, der bereits seinen dritten Turniertreffer erzielte. „Wir wissen alle nicht so recht, warum es plötzlich so gut läuft. Wir können es uns nicht erklären“, sagte der 27-Jährige. Er wisse nur, „dass wir das Land weiter frohlocken lassen wollen“. Komme, wer wolle.
Erstmals seit dem Zerfall der Sowjetunion wird die Sbornaja wieder ein Achtelfinale der WM bestreiten – dass es dort dann höchstwahrscheinlich gegen Portugal oder Spanien gehen wird: Umso besser.