Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Der Brexit-Riss ist geblieben
Am Tag des Brexit-Referendums am 23. Juni 2016 regnete es in vielen Teilen Großbritanniens in Strömen. „We are out“– „Wir sind raus“, verkündete nach Auszählung der Stimmen BBC-Moderator David Dimbleby am nächsten Morgen. Das Ergebnis war so knapp, dass diskutiert wurde, ob die Volksabstimmung vom Wetter entschieden wurde. Die Brexit-Anhänger hatten mit 52 zu 48 Prozent gewonnen – Regen hätte sie nicht abhalten können, hieß es.
Diese ungefähr gleichmäßige Aufteilung in EU-Gegner und EU-Befürworter hat sich auch zwei Jahre nach dem Referendum kaum geändert. Ein leichter Vorteil für die EU-Freunde in aktuellen Umfragen ist Experten zufolge auf Bewegung bei Nichtwählern zurückzuführen. Und das, obwohl die Frustration über die schleppenden Brexit-Gespräche wächst. Mittlerweile formiert sich offener Widerstand. Zehntausende haben am Wochenende eine neue Abstimmung gefordert. Die Veranstalter der AntiBrexit-Kampagne „People's Vote“sprachen von 100 000 Teilnehmern.
Die Hoffnung, Brexit-Wähler würden sich durch den komplizierten Austrittsprozess eines Besseren belehren lassen, bezeichnet der Politologe John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow aber als „fundamental falsch“. Je mehr man sie davon überzeugen wolle, wie schwer es sei, die EU zu verlassen, desto mehr seien sie in ihrer Haltung bestärkt, sagt Curtice. Doch umgekehrt gilt das womöglich auch: Allen Aufrufen zur Einigkeit von Premierministerin Theresa May zum Trotz sind diejenigen, die in der EU bleiben wollten, ihrer Meinung treu geblieben. Zwei Jahre nach dem Brexit-Votum zeigt sich jedoch auch: „Die Beschäftigung mit speziellen Brexit-Themen ist sehr niedrig und Wähler sind sehr desinteressiert“, wie Deborah Mattinson von der Denkfabrik Britain Thinks sagt. Viele Menschen verstünden auch nicht, warum Großbritannien noch nicht längst ausgetreten ist.
Heftiger Streit im Parlament
Ein schneller Brexit wäre nach Ansicht vieler Experten im Chaos geendet. Im Parlament wird darüber heftig gestritten. Proeuropäische Abgeordnete wollen nicht zulassen, dass das Land ohne Abkommen aus der EU kracht. Erst kürzlich warnte das Finanzministerium vor Lebensmittelknappheiten und Preiserhöhungen für diesen Fall. Nur mit Mühe konnte May Revolten ihrer eigenen EUfreundlichen Abgeordneten abwenden, die der Regierung die Hände mit Gesetzeszusätzen binden wollten. Deborah Mattinson zufolge erhöht das den Frust aber nur noch. Das Tauziehen um Paragrafen im Parlament und die schier endlosen Verhandlungsrunden in Brüssel gehören genau zu den politischen Prozessen, denen die Brexit-Wähler mit ihrem Votum eine Absage erteilen wollten.
Die Regierung ist weiter auf dem Kurs eines harten Brexits mit Ausstieg aus Zollunion und Binnenmarkt. Die oppositionelle Labour-Partei arbeitet sich schrittweise in Richtung eines weichen Brexits vor. Sie fordert eine Mitgliedschaft in der Zollunion. Zünglein an der Waage sind ein Dutzend proeuropäische Abgeordnete. Auf der anderen Seite stehen etwa 60 beinharte Brexit-Anhänger bei den Konservativen, die der Premierministerin offen mit Revolte drohen.
Am 29. März 2019 tritt das Land aus der EU aus. Noch ist unklar, welche Seite gewinnt. (dpa)