Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Reizfigur
Mit der Pensionierung von Margot Käßmann verliert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine ihrer prägnantesten Persönlichkeiten. Die Theologin ist mit ihren politischen Positionen mehr als einmal angeeckt. Öffentlichkeit heiße auch „ständige Auseinandersetzung, angreifbar zu sein und Kritik einzustecken“. Im Ruhestand will sie Privatperson sein.
Ihre Neujahrspredigt 2010 mit dem Satz „Nichts ist gut in Afghanistan“stieß nicht nur eine Diskussion um Deutschlands Beteiligung an einem Krieg an. „Ich bin in Rechtfertigungsdruck geraten, der mich atemlos gemacht hat“, sagt sie rückblickend. Auch die aus ihrer pazifistischen Grundhaltung heraus entstandene Empfehlung, für Taliban zu beten statt Kriege zu führen, machte sie zur Reizfigur.
Geboren 1958 als Tochter eines Kfz-Mechanikers und einer Krankenschwester begann Margot Schulze 1977 ihr Theologiestudium. 1981 heiratete sie Eckhard Käßmann, mit dem sie vier Töchter hat, inzwischen aber geschieden ist.
Anfang der 1990er-Jahre wird sie Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Hofgeismar, 1994 Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags. 1999 wird sie in Hannover zur Bischöfin von Deutschlands größter Landeskirche gewählt. Zehn Jahre später wird sie erste Frau an der Spitze der EKD, bleibt es aber nur für wenige Monate. Nach einer Fahrt unter Alkoholeinfluss tritt sie im Februar 2010 von allen kirchlichen Ämtern zurück.
Ihre Glaubwürdigkeit und Beliebtheit scheinen nach dem Fehltritt sogar zu steigen. Wie bereits beim öffentlichen Umgang mit ihrer Brustkrebserkrankung 2006 fliegen ihr Sympathien zu. Inzwischen ist Käßmann aus Berlin wieder nach Hannover gezogen. Heute wird die 60-Jährige in einem Festgottesdienst in den Ruhestand verabschiedet. (epd/dpa)