Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Pseudo-Journale sind nur die Spitze des Eisbergs“
Martin Lohse erklärt, wie der Skandal der Wissenschaft und der Öffentlichkeit schaden könnte
RAVENSBURG - Etwa 5000 deutsche Forscher haben laut Recherchen des NDR, WDR und des „Süddeutsche Zeitung Magazins“Artikel in scheinwissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Ohne vorab geprüft zu werden, sind dadurch zahlreiche fragwürdige Studien an die Öffentlichkeit gelangt. Anna Kratky hat mit Martin Lohse, Vizepräsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften, über die Auswirkungen des Skandals auf die Wissenschaft und die Öffentlichkeit gesprochen.
Herr Lohse, der Skandal kursiert unter dem Begriff Fake Science in den Medien. Glauben Sie, dass die Wissenschaft und Forschung dadurch an Ansehen verlieren könnte?
Zuerst einmal muss ich sagen, dass ich die Bezeichnung Fake Science nicht zutreffend finde. Wir sollten auch die Nähe zum Trump’schen Kampfbegriff Fake News vermeiden, denn es geht hier um etwas anderes. Bei vielen Artikeln in diesen Journalen handelt es sich nicht um Lügen, sondern schlichtweg um den Bodensatz der Wissenschaft und wohl auch um Artikel, die versehentlich in diesen Journalen landeten. Das heißt, um Studien, die nicht gründlich durchgeführt wurden oder einfach nicht von großer Bedeutung sind. Dass die Bevölkerung dadurch nun weniger Vertrauen in die Wissenschaft haben könnte, finde ich sehr bedenklich. Über viele Jahre hinweg haben wir versucht, die Wissenschaft und die Öffentlichkeit mehr miteinander in Kontakt zu bringen. Wenn jetzt die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht mehr ernst genommen werden, könnte es zu erheblichen Fehlentscheidungen zum Beispiel in der Energieversorgung oder bei umstrittenen Therapien in der Medizin kommen. Aber auch ohne Martin Lohse diese fragwürdigen Zeitschriften sehe ich Probleme im wissenschaftlichen Publikationsbetrieb.
Und welche?
Zum einen werden vor allem Publikationen renommierter wissenschaftlicher Verlage immer teurer. Sie nutzen ihre Monopolstellung häufig aus. Wissenschaftler werden dadurch auch von ganz seriösen Verlagen abgezockt. Der niederländische Verlag Elsevier beispielsweise, der sehr viele naturwissenschaftliche Zeitschriften herausgibt, erhöht die Preise für seine Journals von Jahr zu Jahr teilweise um 30 Prozent. Zum anderen hängen wissenschaftliche Karrieren oft davon ab, in den TopJournals zu publizieren. Um eine Studie zu stemmen, die in den Zeitschriften wie „Nature“oder „Science“publiziert wird, braucht es meist an die zehn Doktoranden. Die Einzelleistung ist dann häufig nicht mehr erkennbar. Und zuletzt wird bei der Besetzung wichtiger Jobs zu sehr darauf geschaut, wie viel ein Wissenschaftler publiziert hat. Dadurch kann es verlockend sein, bei fragwürdigen Journals Artikel zu veröffentlichen, um seine Publikationsliste zu verlängern.
Glauben Sie, dass solche Artikel letztendlich gefährlich für Patienten oder Verbraucher sein könnten?
Dass ein Arzt einen fragwürdigen Artikel lesen und Patienten danach falsch beraten könnte, halte ich für nicht sehr wahrscheinlich. Ärzte orientieren sich meist an Sekundärliteratur, also Übersichten und Leitlinien in medizinischen Fachzeitschriften und nicht an Originalstudien aus den Journals. Ich glaube auch nicht, dass umstrittene Medikamente auf diesem Wege einfacher zugelassen werden. Schwierig wird es, wenn Patienten selbst nach einer Heilmethode suchen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade Krebspatienten einen unglaublichen Informationshunger haben und sich viele ihre Informationen selbst beschaffen. Für Laien ist es aber häufig schwierig, unseriöse Zeitschriften als solche zu erkennen.
Was können Wissenschaftler gegen solche Journals tun?
Universitäten und Gremien sollten bei der Besetzung von Stellen oder bei der Vergabe von Preisen mehr darauf achten, was ein Forscher veröffentlicht hat und nicht, wie viel. Damit würde der Publikationsdruck vor allem bei jungen Forschern schon sehr reduziert werden. Und wir sollten vielleicht ein Qualitätssiegel für wissenschaftliche Zeitschriften einführen.