Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Hunderttausende beschweren sich über Hetze im Internet
Seit einem halben Jahr gilt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – Erste Konsequenzen, aber die Kritik verstummt nicht
BERLIN - Hunderttausende Beschwerden über Hetzbotschaften gegen Youtube, Twitter und Facebook: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das vor einem halben Jahr in Kraft getreten ist, hat erste Konsequenzen.
Ein erheblicher Teil der beanstandeten Inhalte wurde von den Plattformen fristgerecht gelöscht. Strafen mussten diese bislang nicht zahlen – weil sie den Auflagen des Gesetzes Folge leisteten, beim Kampf gegen Online-Hetze nicht blockierten. Das belegen erste Berichte, die die Netzwerke am Freitag vorgelegt haben.
Ist das NetzDG, um das so heftig gerungen worden war, also ein Erfolg? Die Regierungsparteien zeigen sich zufrieden. „Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wirkt“, meint Tankred Schipanski (CDU), Netzpolitiker der Union im Bundestag. „Für ein Overblocking gibt es meiner Ansicht nach bisher keine Anhaltspunkte.“Overblocking – das ist die Sperrung legaler Inhalte durch die Anbieter aus vorauseilendem Gehorsam, um Strafen vorzubeugen. Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zeigt sich überzeugt, dass das Gesetz „ein Schritt in die richtige Richtung war“.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), in der vorherigen Regierung Bundesjustizminister und damit für das Gesetz verantwortlich, war damals kritisiert worden, er beschränke die Meinungsfreiheit. Die Kritik ist nicht verstummt. „Wir sehen uns in unseren Befürchtungen bestätigt“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen, am Freitag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Unternehmen löschen offenbar völlig legale Inhalte.“
Bei Facebook wird wenig gemeldet
Bei Youtube wurden von Januar bis Ende Juni knapp 215 000 Inhalte gemeldet, 27 Prozent davon wurden geblockt. Twitter löschte rund jeden zehnten der 265 000 beanstandeten Beiträge. Bei Facebook gingen lediglich 1704 Beschwerden ein – angesichts von 30 Millionen von Kunden in Deutschland eine verschwindend geringe Zahl. 362 Einträge (rund 20 Prozent) wurden von den Seiten genommen. Ein Erklärungsversuch: Bei Facebook gibt es strenge Regeln, die verhindern, dass Inhalte hochgeladen werden, die unter das NetzDG fallen könnten.
Die FDP, die sich von Beginn an gegen das Projekt gestellt hatte, bleibt bei ihrer Ablehnung. Die Zahlen zeigten: „Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist wirkungslos“, sagt der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin. „Gemessen am Ausmaß des Eingriffs in die Meinungsfreiheit ist dieses Gesetz rechtsstaatlich somit schlicht untragbar.“Auch Konstantin von Notz (Grüne) kritisiert das Gesetz als „Schnellschuss“.
Im Bundesjustizministerium will man noch kein Urteil über das Gesetz fällen. „Deutlich wird: Es gibt Beschwerden – und zwar nicht wenige. Strafbarer Hass im Netz ist real, erfahrbar für so viele, die sich vernehmbar für Demokratie und Toleranz einsetzen“, sagt Staatssekretär Gerd Billen. Das Gesetz sieht vor, dass sich diejenigen, die sich bei den Netzwerken über Hassbotschaften beschweren, an das Bundesamt für Justiz wenden können, sollten die Unternehmen nicht reagieren. Auf eine Beschwerde-Welle empörter Nutzer hatte sich die Bonner Behörde eingestellt. Statt der erwarteten mehr als zehntausend Fälle gingen exakt 526 Anzeigen ein.