Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Schnulzenalarm
In einer spanischen Provinz gehen die Bürger mit Schlagern gegen Schurken vor
LA PUEBLA DE VALVERDE/CAMINREAL (dpa) - Im Schutz der Dunkelheit schleicht ein Bösewicht durch die leeren Straßen des Dörfchens La Puebla de Valverde. Plötzlich erschallt aus Lautsprechern ein Schlager, den in Spanien jedes Kind mitträllern kann, „Mi carro“von Manolo Escobar. Die Folge: Die Bürger wissen um die Gefahr und schließen ihre Türen – und der von dem Gassenhauer überraschte Schurke sucht schleunigst das Weite. So oder ähnlich funktioniert seit einem guten Jahrzehnt die musikalische Alarmanlage der winzigen Gemeinde östlich von Madrid.
Alarm ohne Angst
In der Ortschaft, in der in den Wintermonaten gerade einmal 300 zumeist ältere Menschen leben, sind nicht immer genügend Polizeibeamte verfügbar, um die Sicherheit zu gewährleisten. „Es handelt sich um eine Form des Alarms, die keine Angst auslöst, aber dennoch Diebstähle verhindert“, erklärt Bürgermeisterin María Ángeles Izquierdo.
Drei- bis viermal im Jahr erklingt der Evergreen durchschnittlich. Immer dann, wenn ein Bürger etwas Auffälliges oder Verdächtiges beobachtet hat und es der Stadtverwaltung meldet. Schnell wird die Escobar-CD eingeschoben. Das Prozedere sei mittlerweile in der ganzen Gegend bekannt, sodass sich kaum noch ein Ganove ins Dorf traue, sagt Izquierdo. Jetzt folgen andere Orte in der Region dem erfolgreichen Beispiel.
Etwa das ebenfalls in der Provinz Teruel (Region Aragon) liegende Caminreal. Hier leben 800 Menschen, die nächste Polizeiwache ist acht Kilometer entfernt. Das Lied ist das gleiche – kein Wunder, passt der Text der Escobar-Schnulze doch wunderbar zum Thema Gauner und Banditen: „Mi carro me lo robaron, de noche cuando dormía“, zu Deutsch etwa: Sie haben mir mein Auto geklaut, nachts als ich schlief.
Der Schlager war in den 1970erJahren ein Riesenhit in ganz Spanien, vergleichbar mit Roy Blacks „Ganz in Weiß“in Deutschland. Er sei ausgewählt worden, „weil der Inhalt zur Situation passt und das Lied sehr bekannt ist“, betont Izquierdo. Caminreal steckt aber noch in der Testphase: Bisher ertönte das Stück nur zur Generalprobe für den möglichen Ernstfall. „Wir haben hier eigentlich keine Angst. Ich lasse die Haustür offen, ohne abzuschließen“, erzählt der Dorfbewohner Emilio Balados. Dies könne natürlich Übeltäter anlocken.
Verunsicherter Besucher
„In unserem Dorf leben viele alte Menschen, die anderen leicht vertrauen – da mussten wir etwas tun“, sagt Bürgermeister Joaquín Romero. „Den Einwohnern gefiel die Idee. Wenn sie jetzt eine Person sehen, die ihnen verdächtig vorkommt, können sie das Rathaus anrufen, und wir legen die Musik auf“, erzählt er. „Hoffen wir, dass wir es nie tun müssen!“Bei aller Begeisterung für den Schnulzenalarm sind sich die Menschen bewusst, dass eine solche Maßnahme auch Besucher verunsichern kann, die nichts Böses im Schilde führen.
„Das System scheint mir gut, aber ich weiß nicht, wie effektiv es letztlich sein kann“, sagt Ángel, der in Caminreal wohnt. Die Leute, die das ganze Jahr dort lebten, kannten einander und würden deshalb leicht auf ungewöhnliches Verhalten oder dubiose Gestalten aufmerksam. „Aber bei denen, die nicht immer hier wohnen und nur im Sommer kommen, liegt die Sache anders“, so Ángel. Wenn nicht gerade jemand eine Wohnungstür aufbreche, sei er im Grunde zunächst einmal unverdächtig. Und wenn der Schlager trotzdem erklingt? Im besten Fall war es Fehlalarm – und eine Chance mehr, Manolo Escobars „Mi carro“zu lauschen.