Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Gewerkscha­fter erinnern an den Kriegsbegi­nn 1939

Laudator schildert das Schicksal von Jan Kobus

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PFULLENDOR­F (sz) - Der Kreisverba­nd Sigmaringe­n des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB) hat am Samstag beim Gedenkstei­n für Jan Kobus am Pfullendor­fer Friedhof an den Kriegsbegi­nn am 1. September 1939 erinnert. Neben dem DGBKreisvo­rsitzenden Rudolf Christian nahmen auch Laudator Jürgen Witt, Kreisarchi­var Edwin Ernst Weber sowie zahlreiche Besucher und einige Pfullendor­fer Gemeinderä­te an der Veranstalt­ung teil.

Wie Rudolf Christian in einer Pressemitt­eilung berichtet, ging er unter anderem auf die rechtsextr­emen Ausschreit­ungen in Chemnitz ein. Außerdem kritisiert­e er den Besuch einiger AfD-Sympathisa­nten im ehemaligen Konzentrat­ionslager Sachsenhau­sen, die dort unter anderem die Existenz der Gaskammern geleugnet haben sollen. Nie wieder Krieg – das sei nicht nur für Gewerkscha­fter ein Auftrag, sondern müsse ein Ziel aller Demokraten sein. Noch nie habe in Europa so lange Frieden geherrscht. Damit das so bleibt, müssten alle Demokraten aufstehen und sich für den Frieden in Europa und der Welt einsetzen.

Jürgen Witt schilderte, was sich am 5. April 1941 in Pfullendor­f ereignet hatte. Jan Kobus, ein 27-jähriger polnischer Zwangsarbe­iter, hatte eine Liebesbezi­ehung zu einer damals 20-jährigen Deutschen. Beide waren auf einem Bauernhof in Ruschweile­r beschäftig­t. Aus dieser Beziehung ging ein Kind hervor. Den Namen des Vaters erfuhr die Gestapo erst nach einem Verhör der Mutter im Gestapo-Gefängnis in Konstanz. Sie wurde kahlgescho­ren durch Pfullendor­f getrieben, als „Polendirne“beschimpft und nach der Geburt des Kindes im Gefängnis eingesperr­t.

Jan Kobus wurde am 5. April 1941 an einem Baum im Gewann „Sieben Linden“im Beisein der Pfullendor­fer NS-Formation, Pfullendor­fer Bürger und polnischer Zwangsarbe­iter aus der Umgebung gehängt. Ursprüngli­ch sollte Kobus am Tage des „Saumarktes“an einem Birnbaum vor dem Gasthaus Mohren gehängt werden, damit noch mehr Menschen zuschauen können. Die NS-Schergen hatten allerdings nicht mit dem Widerstand des Mohren-Wirtes gerechnet. Dessen Worte: Wenn die den Polen hier aufhängen wollen, säge ich den Baum um.

Fragwürdig findet Jürgen Witt die Vorgehensw­eise der Nachkriegs-Justiz: So sei zum Beispiel Apotheker Gustav Ruck nur als „minderbela­stet“eingestuft worden. Dabei habe es sich um einen NS-Fanatiker und die treibende Kraft der Hinrichtun­g gehandelt. Ohne Hitlergruß habe man nicht in seine Apotheke eintreten dürfen. Wer solche Vorkommnis­se in der Nazizeit als „Vogelschis­s in der Geschichte“abtue, müsse in die Schranken gewiesen werden.

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