Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Szenen eines Unfalls
Statt zu helfen, zücken Menschen ihr Handy – dabei wäre Erste Hilfe angesagt
Häufig verlaufen Unfälle leider so: Ein Autofahrer fährt in einer Ortschaft wegen zu hoher Geschwindigkeit und Unachtsamkeit einen Fußgänger um. Dieser ist, ohne sich umzuschauen, über einen Zebrastreifen gelaufen, da er gerade auf sein Handy stiert. Der Autofahrer kann nicht mehr rechtzeitig abbremsen und rammt den Fußgänger. Vor Schreck fährt der Fahrer gegen den nächsten Baum.
Heutzutage wäre nach dem Geschehen ein Ablauf dieser Art gut vorstellbar: Die Zuschauer des Unfalls gehen zu den Unfallopfern hin, holen ihre Handys heraus und filmen die Verletzten. Einer der Gaffer ruft einen Krankenwagen, filmt dann aber auch die Verletzten. Bevor die Rettungskräfte eintreffen, fragen sich noch ein paar unsichere Passanten, ob das, was die Gaffer gerade tun, eigentlich strafbar ist. Die Rettungskräfte haben kaum eine Chance in die Nähe des Unfalls zu kommen, da die Fahrer der vorbeikommenden Autos ausgestiegen sind, um den Unfall zu betrachten. Ihre Autos haben sie einfach an der Straße stehen lassen.
Auch zu den Unfallopfern können die Rettungskräfte nicht vordringen, da der Kreis aus Schaulustigen nicht bereit ist, ihnen Platz zu machen. Die Polizei muss mehrfach die Zuschauer bitten zurückzutreten, damit die Rettungskräfte gerade genug Platz bekommen, um den Verletzten zu helfen. Erst nach Androhung von Konsequenzen fahren die Autos weg. Die Fußgänger bleiben trotzdem stehen und filmen weiter. Die Polizei beginnt die Leute nach dem Unfallhergang zu fragen, diese wollen aber nicht beim Filmen gestört werden. Die Gaffer sind erst bereit, etwas auszusagen, nachdem die Polizisten angefangen haben, Personalien aufzunehmen, um Anzeige wegen Behinderung der Rettungskräfte und unterlassener Hilfeleistung zu erstatten.
Das Unfallopfer hat überlebt, aber es würde ihm besser gehen, hätte jemand umgehend erste Hilfe geleistet. Inwiefern die Video- und Tonaufnahmen und Bilder ihren Weg ins Internet finden, bleibt offen.
Bei dem vorher geschilderten Unfall wäre dieses Szenario wünschenswert: Mindestens einer der Zivilisten, die den Unfall beobachtet haben, ruft den Notarzt und beschreibt den Zustand der Verletzten. Er bekommt Hilfsanweisungen von der Leitstelle. Ein anderer Passant holt sein Handy heraus und benutzt die App des Deutschen Roten Kreuzes (DRK App). Er versucht, durch diese festzustellen, was er unternehmen kann, um dem Unfallopfer zu helfen, denn von seinem Erste-Hilfe-Kurs weiß er nichts mehr. Andere sorgen dafür, dass der Verkehr weiterläuft und die Autos, die die Straße zum Unfallort blockieren, eine Rettungsgasse bilden. Gaffende Personen werden gebeten weiterzulaufen, die Aufgeforderten gehen dieser Bitte auch nach. Die Rettungskräfte können ohne Probleme zum Unfallort vordringen. Die verletzte Person wurde, so gut es ein normaler Bürger vermag, versorgt und keiner stört die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit. Dem Unfallopfer geht es den Umständen entsprechend gut, sein Zustand hat sich während der Zeit zwischen dem Unfall und dem Eintreffen der Rettungskräfte nicht verschlechtert.