Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Auch dieser Brexit-Gipfel hat keine Fortschritte gebracht
EU und Großbritannien steuern weiter auf einen unkontrollierten Austritt der Briten zu – Abgeordnete warnt vor „komplettem Zusammenbruch“
BRÜSSEL - Ohne messbare Ergebnisse ist der EU-Gipfel zu Ende gegangen, bei dem erneut der Brexit, die Migrationspolitik und die Reform der Eurozone auf der Tagesordnung standen. Dennoch bemühten sich die Teilnehmer darum, Optimismus zu verbreiten. „Wir sind viel besserer Stimmung als nach den Treffen in Salzburg“, sagte Ratspräsident Donald Tusk. „Wir sind näher an einer Einigung – das ist allerdings mehr ein Gefühl als ein Fakt.“Aber, schloss Tusk: „Gefühle zählen – auch in der Politik!“
Zankapfel Übergangsperiode
Sowohl Tusk als auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker signalisierten in Sachen Brexit, dass sie einer Verlängerung der Übergangsperiode zwischen EU-Austritt Großbritanniens und neuem Handelsvertrag zustimmen würden, sollte Großbritannien eine solche Fristverlängerung erbitten. Vor einem Jahr hatte Theresa May vorgeschlagen, Großbritannien für zwei weitere Jahre in Binnenmarkt und Zollunion zu belassen, bis ein neuer Handelsvertrag mit der EU abgeschlossen ist. Austrittsbefürworter reagierten empört, denn in dieser Phase hätte Großbritannien kein Mitspracherecht mehr in der EU, müsste aber sämtliche finanziellen und gesetzlichen Verpflichtungen weiter erfüllen.
May hat eine Verlängerung der Übergangsfrist ins Spiel gebracht, weil sie dadurch die von der EU geforderte „Rückversicherung“für Nordirland zu umgehen hofft. Sollten nämlich die Freihandelsgespräche scheitern, will die EU Nordirland dauerhaft in der Zollunion behalten, was einer neuen Grenze innerhalb Großbritanniens gleichkäme.
Auf diesem sogenannten Backstop will EU-Verhandlungsführer Michel Barnier auch dann bestehen, wenn die Übergangsfrist verlängert wird. Es gibt noch ein Indiz, das gegen den demonstrativ verbreiteten Optimismus spricht: Die EU hat den für November eingeplanten BrexitSondergipfel gestrichen.
Es gebe nicht genug Fortschritte, erklärte der Ratspräsident nach einem Lagebericht von Barnier. Einige erfahrene EU-Gipfel-Teilnehmer wie die litauische Präsidentin Galia Grybauskaite kommentierten die Nachricht trocken: Das Drama sei wohl noch nicht groß genug, um die Verhandler Richtung Kompromiss zu bewegen.
Beobachter warnten erneut vor den chaotischen Folgen eines Austritts ohne vertragliche Vereinbarung. „Nicht nur die Irlandfrage bliebe bei einem No-Deal ungelöst“, sagte die FDP-Europaabgeordnete Gesine Meissner. „Im Verkehrssektor droht ein kompletter Zusammenbruch. Die britische Zollagentur warnt, dass sowohl Personen- als auch Warentransport auf der Straße EU-Gesetzen folgen und der Zugang zum Vereinigten Königreich damit ungeregelt wäre.“Der Flugverkehr müsste nach dem Austrittsdatum, dem 29. März nächsten Jahres, komplett gestoppt werden, warnte Meissner.
Großbritannien und die restlichen EU-Staaten wollen nun die letzte Hürde auf dem Weg zu einem Brexit-Vertrag in weiteren Verhandlungen überwinden. Die Staaten seien sich einig, „alles daranzusetzen, eine Lösung zu finden“sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die britische Premierministerin May legte ihren Kollegen in Brüssel allerdings keine neuen Vorschläge zur Irland-Frage vor. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sagte: „Vieles von dem, was sie uns gesagt hat, war schon bekannt.“
Stillstand bei Thema Asyl
Bei den anderen Themen, die am Mittwochabend und Donnerstag in Brüssel auf der Agenda standen, gab es ebenfalls keine Fortschritte. In der Schlusserklärung werden Rat und Parlament lediglich aufgefordert, die Arbeit am Gesetzespaket Migration und Asyl fortzusetzen.
Der ungarische Botschafter bei der EU versandte noch vor Gipfelschluss dazu eine Erklärung seiner Regierung: „Die sogenannte DublinReform würde verlangen, dass die Nationalstaaten Grenzschutzaufgaben an die EU-Agentur Frontex übertragen. Das würde die Mitgliedsstaaten des Rechts berauben, souverän zu entscheiden, wer bei ihnen Flüchtlingsstatus erhält und wer nicht.“14 Mitgliedsstaaten hätten Widerstand gegen diesen Plan signalisiert.