Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Dehoga warnt vor Wirtshaussterben
Wegen fehlendem Personal und überbordender Bürokratie sterben im Südwesten jedes Jahr mehr Wirtshäuser
RAVENSBURG (ank) - Die Zahl der Wirte und Kneipiers in Baden-Württemberg, die den Betrieb ihres Gasthofs für immer aufgeben, steigt. „Vor allem in ländlichen Regionen brechen uns regelrecht die Strukturen weg“, sagte Daniel Hohl vom Hotelund Gaststättenverband (Dehoga) der „Schwäbischen Zeitung“und warnt vor einem schleichenden Sterben von Wirtshäusern auf dem Land. Die Zahl der Unternehmen sei im Südwesten von 2008 bis 2016 um acht Prozent auf 30 800 gesunken. Im Kreis Sigmaringen haben 20 Prozent der Betriebe für immer zugesperrt, im Bodenseekreis sind es sechs Prozent und im Kreis Ravensburg 15 Prozent. In Städten wie Ulm nimmt die Gaststättendichte dagegen zu.
RAVENSBURG/WEINGARTEN - Es ist 13 Uhr, beste Mittagszeit im Gasthof Rössle in Weingarten. Die Gaststube, die Platz für mehr als 100 Gäste bietet: menschenleer. „Die Leute haben mittags keine Zeit mehr, holen sich lieber im Supermarkt oder beim Metzger was Schnelles auf die Hand“, kommentiert Gerhard Flaitz den skeptischen Blick des Besuchers in die Räumlichkeiten des oberschwäbischen Traditionslokals.
So wie dem Rössle-Wirt geht es inzwischen vielen Wirtshäusern im Land. Die Gäste bleiben weg. Dabei ist Flaitz noch in einer komfortablen Situation. Schon vor vielen Jahren hat er seinen Gasthof erweitert, hat investiert – in einen großen Biergarten, in eine hauseigene Metzgerei und in einen Hotelbetrieb mit 50 Zimmern. Das beschert ihm Zulauf; auf das Mittagsgeschäft ist er nicht mehr angewiesen. Doch viele andere Betriebe stecken die sich verändernden Kundengewohnheiten nicht so leicht weg.
„Vor allem in ländlichen Regionen brechen uns regelrecht die Strukturen weg“, erklärt Daniel Ohl vom Hotelund Gaststättenverband Dehoga Baden-Württemberg. Ein Blick auf die Zahl der umsatzsteuerpflichtigen Betriebe im Gastgewerbe zeigt die Dramatik der Lage: Im Landkreis Sigmaringen etwa hat zwischen 2008 und 2016 jeder fünfte Gastronomiebetrieb dicht gemacht. Ende 2016 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – gab es zwischen Gammertingen im Norden und Illmensee im Süden, zwischen Beuron im Westen und Bad Saulgau im Osten nur noch 360 Unternehmen.
Im Bodenseekreis fiel das Minus moderater aus: Dort sank die Zahl der Betriebe um sechs Prozent auf 921. Aber schon etwas weiter abseits des Touristenmagnets Bodensee, im Landkreis Ravensburg, war die Zahl der Aufgaben mit 15 Prozent auf nur noch 717 Wirtschaften wieder deutlich zweistellig. Das Wirtshaussterben ist kein Mythos, es ist traurige Realität. Eine Realität, die die Umsatzzahlen der Branche so nicht vermuten lassen. Denn die Erlöse im baden-württembergischen Gastgewerbe wachsen – im vergangenen Jahr immerhin um 1,3 Prozent.
Doch es ist ein zutiefst heterogenes Wachstum: Während in Großstädten wie Ulm die Gaststättendichte zunimmt, wird auf dem Land immer öfter die letzte Runde ausgeschenkt. In manchen Dörfern, in denen einst eine blühende Gastronomie zu Hause war, gibt es schon gar kein Gasthaus mehr. Und die Aussichten sind trotz gut laufender Konjunktur und konsumfreudigen Verbrauchern nicht gut.
Rössle-Wirt Flaitz und DehogaMann Ohl machen für die Misere vor allem zwei Faktoren verantwortlich: die Schwierigkeiten, Personal zu bekommen. Und die überbordende Bürokratie, die vor allem kleinere Gastwirtschaften an die Belastungsgrenze bringt. „Mit Geld kann man heute keinen mehr in die Gastronomie locken. Freizeit hat einen viel höheren Stellenwert“, überspitzt es Flaitz und spielt dabei auf die branchentypischen Arbeitszeiten an, die beginnen, wenn andere Feierabend haben.
Hinzukommen nicht weniger als 56 Dokumentationspflichten für Gastbetriebe – angefangen von der peniblen Auflistung der Arbeitszeiten von Angestellten und den damit verbundenen vorgeschriebenen Ruhezeiten zwischen zwei Einsätzen, über die Kontrolle der Kühlanlagen, die zweimal am Tage erfolgen muss, bis hin zur Auflistung der allergenauslösenden Stoffe auf der Speisekarte. „Die Branche dokumentiert sich zu Tode“, schimpft Ohl. Was ihn zudem ärgert, ist eine gewisse Ungerechtigkeit in Steuerfragen: „Gleiches wird nicht gleichbehandelt.“Dass das Essen „to go“beim Discounter mit sieben Prozent Mehrwertsteuer belegt werde und der Mittagstisch im Gasthaus mit 19 Prozent, obwohl dort viel mehr Aufwand dahinterstecke, sei nicht nachvollziehbar.
„Wirt sein, ist keine Kunst“
Flaitz, der das Rössle in Weingarten zusammen mit seiner Frau Claudia seit 24 Jahren umtreibt, will die Ursachen des Niedergangs aber nicht nur in den äußeren Umständen suchen. „Ich behaupte, 70 Prozent der Wirte müssen die Fehler zuerst bei sich selber suchen.“Den Grund dafür glaubt der gelernte Metzger auch zu kennen: „Jeder, der das will, setzt sich drei Stunden in die IHK und kann danach ein Wirtshaus aufmachen. Woanders braucht es drei Jahre Meisterschule. Wirt sein, ist keine Kunst – Wirt bleiben umso mehr.“Der Spruch „Wer nichts wird, wird Wirt“kommt nicht von ungefähr.
Auch Ohl fordert, dass sich die Gastronomie an den Wandel der Zeit anpassen muss. „Wer heute noch ein Gasthaus wie vor 40 Jahren führt, kommt nicht weiter.“Das Stammtischleben mit Bier, Skat und Doppelkopf ist vorbei. Die Generation Gäste, für die die Gaststube das zweite Wohnzimmer war, stirbt aus. Eine neue folgt nicht nach. Darauf müssen Gastwirte reagieren.
Etwa, indem man sich einen größeren Gästekreis heranzieht. „Erfolgreiche Gastronomiebetriebe haben ein gehobenes Küchenniveau und bieten den Leuten so einen Anlass hinzugehen“, sagt Ohl. Auch die zusätzliche Beherbergung trägt viel zur wirtschaftlichen Stabilität bei. Die Häuser können so Veranstaltungen und Feste ausrichten und neue Erlösquellen erschließen. „Moderne Gästezimmer verbessern die wirtschaftliche Perspektive der Gastronomiebetriebe deutlich“, erläutert Ohl.
Diese Perspektive hat sich für viele Häuser in den vergangen Jahren eingetrübt. Die Branche hat ein Ertragsproblem, die Verdienstmargen, vor allem für Pächter, sind gering, weil die Kosten über Jahre deutlich schneller gestiegen sind als die Umsätze. Einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge, sind die Personalkosten im Gastgewerbe zwischen 2000 und 2016 um 26 Prozent gestiegen, die Produktivität dagegen nur um zwölf Prozent. Das belastet die Wettbewerbsfähigkeit und ist örtlich inzwischen auch ein Problem für den Tourismus. Denn was nützt der schönste Radweg, wenn es keine Möglichkeit zur Einkehr gibt.
Ohne Wirte kein Tourismus
„Der Tourismus steht und fällt mit einem guten Gastgewerbe“, sagt Dehoga-Mann Ohl und warnt vor „weißen Flecken auf der Landkarte“– Regionen, in denen das Wirtshaussterben auch dem Tourismus die Grundlage entzieht. Die nächsten fünf Jahre werden entscheiden, ob diese „weißen Flecken“größer werden oder nicht. In diesem Zeitraum steht allein in rund 4000 inhabergeführten Gastronomiebetrieben in BadenWürttemberg der Generationswechsel ins Haus. Wo es wirtschaftlich schlecht läuft, ist in der Regel auch die Nachfolge gefährdet.
Für das Rössle in Weingarten gilt das nicht: Im kommenden Jahr, sagt Claudia Flaitz, kommen die Söhne aus Hamburg zurück nach Weingarten – von Fünf-Sterne-Häusern, in denen sie ihr Handwerkszeug gelernt haben, heim in den elterlichen Gastronomiebetrieb. Sie werden ein bestelltes Haus vorfinden und werden neue Ideen mitbringen. Ob mittags dann auch noch „Saure Leber mit Bratkartoffeln“serviert werden, bleibt allerdings abzuwarten.