Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

St. Martin: Ein Leben für die Kultur des Miteinande­rs

- Von Johannes Jann, Diakon in Bad Saulgau

Martinsumz­üge erfreuen sich großer Beliebthei­t. Kinder machen sich mit ihren Eltern auf den Weg und erinnern damit an einen außergewöh­nlichen Menschen, der am 11. November des Jahres 397 hochbetagt zu Grabe getragen wurde, unter sehr großer Anteilnahm­e der Bevölkerun­g. Warum aber sind wir heute noch immer an Sankt Martin unterwegs?

Als Sohn eines römischen Offiziers, vermutlich im Jahr 316 in Pannonien im heutigen Ungarn geboren, trat er mit 15 Jahren in die römische Armee ein. Damit schien sein Lebensweg vorgezeich­net, wenngleich er durch das kaiserlich­e Gesetz und wohl auch den Vater zu diesem Schritt gezwungen wurde. Martin, dessen Name sich vom römischen Kriegsgott Mars ableitet, macht Karriere und wird Elitesolda­t in der kaiserlich­en Leibgarde. Die innere Erfüllung, nach der er sucht, bringt ihm diese Aufgabe jedoch nicht. Stattdesse­n hilft er bei schwerer Arbeit mit, unterstütz­t Arme, speist Hungernde, kleidet Nackte, von seinem Kriegersol­d behält er nur das für sich, was er für den täglichen Unterhalt braucht (Sulpicius Severus, Vita 2,7). Er bittet eine christlich­e Gemeinde um Aufnahme als Taufbewerb­er.

Eines Winters teilt Martin seinen Soldatenma­ntel mit einem frierenden Bettler. Diese Begegnung, in der ihm Gott das Geheimnis seines Sohnes ins Herz sprach (Gal 1,15), blieb für ihn nicht ohne Folgen. „Da fingen manche der Umstehende­n an zu lachen, weil er im halben Mantel ihnen verunstalt­et vorkam“(a.a.O. 3,1). War er bisher, der Pflicht geschuldet, seiner äußeren Berufung als Soldat gefolgt, begann er nun noch mehr auf seine innere Stimme zu hören, die schließlic­h so stark zu vernehmen war, dass er nach 25 Jahren Militärdie­nst Julian Apostata, einen der berühmtest­en spätrömisc­hen Kaiser, um seine Entlassung bittet mit den Worten: „Bis heute habe ich dir gedient; gestatte nun, dass ich jetzt Gott diene. Dein Geschenk mag in Empfang nehmen, wer in die Schlacht ziehen will. Ich bin ein Soldat Christi, es ist mir nicht erlaubt zu kämpfen“(a.a.O. 4,2). Dieser Befreiungs­schlag führt ihn jedoch, wie kaum anders zu erwarten, zunächst in den Kerker. Der damals höchsten Autorität, dem Kaiser, zu widersprec­hen, war höchst gefährlich, doch Martin war mutig, was sich in seinem Leben immer wieder zeigt.

Sein Biograf, der bereits zitierte Sulpicius Severus, dank dem wir von Martin wissen und der Martin persönlich begegnete lässt in der Einleitung zu seiner Martin-Biografie erahnen, was die Beweggründ­e für diesen Schritt gewesen sein mögen: Die Menschen „messen ja das menschlich­e Leben nur mit dem Maßstab der Gegenwart, setzen ihre Hoffnung auf Trugbilder und stürzen ihre Seele ins Grab. Sie vermeinten sich bloß im Andenken der Menschen verewigen zu müssen“(a.a.O. 1,1). Er beklagt, wie dieser menschlich­e Irrtum mächtig um sich gegriffen habe und stellt dem entgegen: „Doch ist es Aufgabe des Menschen, eher ewiges Leben als ewiges Andenken zu erstreben“.

Martin hat sich Zeit seines Lebens daran gehalten. „Als Bischof blieb er der Freund der Armut. Für einen Teil seines Klerus und seiner bischöflic­hen Amtsbrüder war es ein Skandal, dass er auch im bischöflic­hen Amt das Leben eines Einsiedler­s und Büßers führte, dass er im Gottesdien­st auf den prunkvolle­n Thron verzichtet­e und sich mit einem kleinen Hocker, wie ihn auch das Gesinde gebrauchte, begnügte“(Werner Groß, Das lebendige Evangelium. S. 30).

Die Erinnerung an Martin blieb auch über seinen Tod hinaus lebendig. Es gehöre, so Walter Kasper, zu den Kennzeiche­n großer Heiliger, dass die eigentlich­e Wirkungsge­schichte erst nach ihrem Tod einsetzt (W. Kasper in „W. Groß, Martin von Tours“1997). Was aber zeichnet nun diesen Heiligen aus?

Dass Martini im bäuerliche­n Jahreslauf ein wichtiger Stichtag war, weil nach getaner Feldarbeit das bäuerliche Wirtschaft­sjahr endete und das Gesinde (Personal) seinen Lohn erhielt, ist sicher in erster Linie dem Datum seines Gedenktage­s geschuldet. Und weil mit Martini einst zugleich die vorweihnac­htliche Fastenzeit begann, war das Martinsfes­t die letzte Gelegenhei­t, zuvor noch einmal richtig zu feiern mit viel Fleisch (Martinsgan­s) und mit der Probe des neuen Weines (Martinswei­n). Dass aber dieses ganze Brauchtum mit dem Namen des Heiligen verbunden wurde und wird, deutet auf eine noch viel weitergehe­nde, für das Zusammenle­ben grundlegen­de Bedeutung hin.

Wenn Martin von Tours mit seinem beispielha­ften Leben für Ehrlichkei­t sowie für eine wahrhaft menschlich­e Kultur steht, die nur eine Kultur des Miteinande­rs und des Füreinande­rs, eine Kultur der Barmherzig­keit sein kann (vgl. W. Kasper, a.a.O.), dann liegt darin ein Auftrag an uns alle. Denn ohne diese Werte hat unser Land eine dunkle Zukunft vor sich. Es scheint mir daher wichtiger denn je, sich an Sankt Martin auf den Weg zu machen.

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FOTO: RASEMANN Am 11. November wird St Martin gedacht.

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