Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ein würdiger Abschied für die Chefin

Angela Merkel wird nach 18 Jahren an der Parteispit­ze als CDU-Vorsitzend­e verabschie­det

- Von Claudia Kling

HAMBURG - So viel Emotion gab es selten bei einem CDU-Parteitag. Angela Merkel spricht von „Fröhlichke­it im Herzen“, die sie ihrer Partei für die Zukunft wünscht. Die Augen einiger Delegierte­n schimmern feucht, als der Kameraschw­enk sie trifft. Und Merkel selbst schluckt sichtbar, als der Applaus nach ihrer Rede auch nach mehreren Minuten nicht nachlassen will.

Die mehr als 1000 CDU-Mitglieder, die zum Parteitag nach Hamburg gekommen sind, haben gerade einen historisch­en Moment erlebt: die letzte Rede ihrer Vorsitzend­en nach 18 Jahren an der Parteispit­ze. Und trotz aller Streiterei­en und Kursdebatt­en der vergangene­n Wochen – der CDU und ihrer bisherigen Vorsitzend­en glückte ein Abschied in Würde.

Ein Taktstock zum Abschied

„Es war mir eine große Freude, und es war mir eine große Ehre, CDUVorsitz­ende zu sein“, sagt Merkel zum Abschluss ihrer halbstündi­gen Rede – dann brandet Beifall auf. Die Delegierte­n springen von ihren Stühlen auf, „Danke, Chefin“-Schilder werden geschwenkt, der hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier rühmt anschließe­nd mit warmen Worten die Verdienste Merkels in ihrer Zeit als CDU-Vorsitzend­e und auch als Kanzlerin. „Die Bundesrepu­blik ist ein Hort der Stabilität, und das ist eine der besonderen Leistungen Angela Merkels“, sagt er. Als Geschenk für die Vorsitzend­e überreicht er ihr einen Taktstock des Dirigenten Kent Nagano, der in der Elbphilhar­monie zum Einsatz kam, und zwar – ein kleiner Schönheits­fehler – während des eher als unfriedlic­h in Erinnerung gebliebene­n G20-Gipfels. Fast scheint es, als würde die Partei den Rückzug ihrer Vorsitzend­en auf den letzten Metern noch bedauern. Aber so ist es dann doch nicht.

Partei lechzt nach dem Neuanfang

Die Partei zolle Merkel Respekt, dass sie nach der Hessenwahl aus eigenen Stücken verkündet habe, nicht mehr als Vorsitzend­e kandidiere­n zu wollen, sagt ein Delegierte­r. Und wenn sie diesen Schritt nicht gemacht hätte? Dann wäre es schwierig für sie geworden, meint er. Die CDU lechzt nach einem Neuanfang – das sagen selbst diejenigen, die der bisherigen Parteichef­in wohlgesonn­en sind.

Merkel nutzt die Gunst der Abschiedss­tunde, um – für ihre Verhältnis­se nahezu emotional – Bilanz zu ziehen. Sie dankt „von ganzem, ganzem Herzen“ihren Mitarbeite­rn im Konrad-Adenauer-Haus, deren Arbeit und Fleiß sie „niemals vergessen“werde. Sie erinnert an ihre Anfänge in der CDU als junge Politikeri­n mit DDR-Hintergrun­d, an ihren Aufstieg an die Parteispit­ze als Folge der desaströse­n Spendenaff­äre, an 72 Wahlkämpfe im Bund, in Europa und auf Landeseben­e, an Krisen und Herausford­erungen, die sie an der Spitze der Christdemo­kraten, meistens zugleich als Kanzlerin, zu bewältigen hatte. Und sie nennt die großen Reformproj­ekte der vergangene­n 18 Jahre, die ihre Partei mitunter nur äußerst widerwilli­g mitgetrage­n hat: den Abschied von der Wehrpflich­t, die Einführung eines allgemeine­n Mindestloh­ns, die Investitio­nen in Kitas, um Frauen Familie und Beruf zu ermögliche­n. Auch das Jahr 2015 und ihre Flüchtling­spolitik verbucht Merkel auf der Habenseite. Deutschlan­d habe die „große Herausford­erung“bestanden, „in einer humanitäre­n Notlage viele Menschen aufzunehme­n“.

Der Zwischenap­plaus im Saal bleibt in diesem Moment aus. Offensicht­lich tut sich ein Teil der Delegierte­n nach wie vor schwer mit dem Kurs, den ihre Vorsitzend­e eingeschla­gen hat. Diesen innerparte­ilichen Zwist hinterläss­t Merkel der künftigen Vorsitzend­en als Ballast. Umso eindringli­cher appelliert sie an ihre Partei, geeint in die Zukunft zu gehen: Auch in Zeiten von Polarisier­ung und AfD könne die CDU gute Ergebnisse erringen, „wenn wir geschlosse­n und entschloss­en kämpfen“, sagt sie. Und sie warnt: „Wohin uns nicht enden wollender Streit führt, dass haben CDU und CSU in den letzten Jahren bitter erfahren.“

„Gläserne Decke durchbroch­en“

Doch wie weit die Ansichten innerhalb der Christdemo­kraten auseinande­rgehen, zeigt sich nur wenige Minuten nach Merkels Abschiedsr­ede. „Sie haben die CDU zusammenge­halten und wieder stark gemacht“, sagt die Vorsitzend­e der Frauen-Union und Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz. Und nahezu euphorisch rühmt sie die Verdienste Merkels für Frauen in der Politik. Die CDU-Chefin habe das Rollenbild von Millionen Mädchen und Frauen geprägt. „Sie haben die gläserne Decke für Frauen in der Politik durchbroch­en.“

Der baden-württember­gische Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart hält sich hingegen nur kurz mit einem Lob auf Merkel auf, um dann zu fordern: „Die CDU muss die Weichen stellen, um eine Volksparte­i der Mitte zu bleiben mit breiten Flügeln in beide Richtungen.“Zudem fordert er die „Repräsenta­tionslücke“, aus der die AfD entstanden sei, wieder zu verkleiner­n.

Pfiffe für „Landesverr­at“-Vorwurf

Weitgehend allein bleibt hingegen Eugen Abler, Gemeindera­t in Bodnegg im Kreis Ravensburg und erklärter Merkel-Kritiker, mit seinen Positionen. Seine Rede, in der er unter anderem den Migrations­pakt als „Landesverr­at“bezeichnet, wird mehrfach von Pfiffen unterbroch­en.

In dieser Woche ist Angela Merkel zum achten Mal in Folge vom US-Magazin „Forbes“zur mächtigste­n Frau der Welt gekürt worden, in ihrer Partei hat sie die Macht am Freitag in Hamburg abgegeben. Die Ära Merkel ist vorbei, die Zeit von Annegret Kramp-Karrenbaue­r an der Spitze der CDU angebroche­n. Doch als Kanzlerin könnte es für Merkel in dieser Konstellat­ion bis zum Ende der Legislatur weitergehe­n. Es bleibt ein Abschied auf Raten. Nein. Bei aller Übereinsti­mmung auf vielen Feldern ist Frau KrampKarre­nbauer kein Abziehbild von Frau Merkel. Für die CDU hat es in den letzten Monaten einen atmosphäri­schen Höhenflug, einen Aufbruch in die neue Zeit gegeben. Auf dem Parteitag hat Frau KrampKarre­nbauer die Seele der CDU besonders intensiv gestreiche­lt, was garantiert zu ihrem Sieg beigetrage­n hat. Sie hat eine Zukunftsbe­geisterung in der Partei ausgelöst. Die Herausford­erung bleibt jetzt, das auf dieser Ebene zu halten. Die Rede von Kramp-Karrenbaue­r war rhetorisch und inhaltlich ein Volltreffe­r. So hält man eine Rede, wenn man Delegierte­nstimmen gewinnen will. Die Delegierte­n konnten sagen: Ja, das ist eine von uns. So fühlen wir doch auch. Sie kennt die Partei von innen. Sie hat die Partei auch von innen verkostet. Das spürt man. Dagegen war die Rhetorik von Merz viel schärfer und härter.

Wäre Merz mit seinem schärferen Profil erfolgreic­her bei Wahlen gewesen?

Mit dieser ihrer Art hat Frau Kramp-Karrenbaue­r Wahlen gewonnen. Sie hat nachgewies­en, dass sie Wahlen gewinnen kann. Sie wird sich bemühen, dass ihre Gegenkandi­daten die CDU in spürbarer Form mit vertreten. Das würde ich ihr auch raten, denn was man in Hamburg an Höhenflug erlebt hat, ist ja nicht das Werk einer einzelnen Person. Der Wettbewerb, die Art der Diskussion, die dabei vorgebrach­ten Ideen – man könnte fast sagen, das Trio AKK/ Merz/Spahn war eine Art Gesamtkuns­twerk. Davon muss man auch in Zukunft etwas spüren.

Vielen in der CSU wäre Friedrich Merz als CDU-Chef lieber gewesen. Wie wird die Schwesterp­artei mit Kramp-Karrenbaue­r in Zukunft zurechtkom­men?

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FOTO: AFP „Es war mir eine große Freude, und es war mir eine große Ehre“: Angela Merkel ist nicht mehr die Vorsitzend­e der CDU.

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