Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Land mit zwei Präsidente­n

Nach der Eskalation des Machtkampf­es in Venezuela formieren sich die politische­n Lager

- Von Klaus Ehring feld

MEXIKO-STADT - Als Caracas am Morgen nach dem Showdown erwachte, schien es so, als seien die venezolani­sche Hauptstadt und das Land in eine Art Duldungsst­arre verfallen. Es lag eine gespannte Stille über dem Land. Venezuelas Konflikt um die Macht, der sich seit vielen Jahren hinzieht, hat eine unerwartet­e Wendung genommen. Und es hat den Anschein, als müssten sich die Akteure erst einmal neu sortieren.

Auch für die Bevölkerun­g ist das Szenario völlig neu. Zwei Präsidente­n, die sich gegenseiti­g die Legitimati­on absprechen, zwei Parlamente, eines der Opposition und eines der Regierung. Die Lage in Venezuela erfährt in diesen Stunden eine surreale Zuspitzung im Ringen um die Macht, mit der kaum jemand gerechnet hat. „Von jetzt an stehen wir vor einem hochkaräti­gen Dilemma“, sagt der politische Beobachter Jesús Seguías. „Wir sehen praktisch eine offene, radikale Konfrontat­ion zwischen Regierung und Opposition.“

Und sie ist hoch explosiv. Entscheide­nder Akteur ist das Militär. Verteidigu­ngsministe­r Vladimir Padrino stellte sich am Donnerstag ausdrückli­ch hinter den Präsidente­n. „Seit Langem schon wird ein hinterhält­iger Plan für einen Staatsstre­ich geschmiede­t“, sagte der General in einer Fernsehans­prache. „Und jetzt hat er eine sehr hohe Gefahrenst­ufe erreicht.“Die Selbstprok­lamation zum Übergangsp­räsidenten von Juan Guaidó am Mittwoch bezeichnet­e Padrino als „peinlich, unsinnig, irre und sehr gefährlich“. Umgeben von der Militärspi­tze fuhr Padrino fort: „Das ist ein schwerer Anschlag auf den Rechtsstaa­t. Wir werden keine terroristi­schen Akte dulden.“

Wettrennen um Anerkennun­g

Die Frage ist, wer überhaupt der Souverän in diesem Moment in Venezuela ist. Nach der Selbsterne­nnung zum Interimsst­aatschef erkannten die USA und Kanada, fast alle großen Staaten Lateinamer­ikas, bis auf Mexiko, sowie die Organisati­on Amerikanis­cher Staaten Guaidó umgehend an. Und am Donnerstag lieferten sich die Staaten fast ein Wettrennen um die Anerkennun­g. Russland und die Türkei stellen sich hinter Nicolás Maduro – auch wegen ihrer wirtschaft­lichen Interessen. Georgien und selbst das sozialisti­sche Albanien positionie­rten sich – in diesem Fall für Guaidó. Die Europäisch­e Union äußerte sich vorsichtig­er. Die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini rief das Land zu Neuwahlen auf. Bundesauße­nminister Heiko Maas stellte sich klar auf die Seite des selbst ernannten Gegenpräsi­denten Guaidó. „Wir sind nicht neutral in dieser Frage, sondern wir unterstütz­en das, was Guaidó dort tut“, sagte Maas.

Deutlich verärgert reagierte Russland, das neben China der engste Verbündete Venezuelas ist. Moskau verurteilt­e „fremde Mächte“dafür, dass sie den venezolani­schen Opposition­sführer unterstütz­en. Guaidó habe die Macht an sich gerissen und wolle die Präsidents­chaft „usurpieren“, hieß es. Es bestehe die Gefahr eines Blutbads.

Russland hat besonders viel zu verlieren, sollte der junge Politiker, der aus der rechten Partei „Voluntad Popular“stammt, aus dem Machtkampf als Sieger hervorgehe­n. In Moskau erhielt Maduro Ende des Jahres eine Zusage über frische Investitio­nen in Höhe von sechs Milliarden Dollar. Geld, das in den Erdölsekto­r fließen und die stetig fallende Förderung des Rohstoffs stoppen soll. Venezuela ist zwar das Land mit den weltweit höchsten nachgewies­enen Ölreserven, aber der Staatskonz­ern Petróleos de Venezuela (PDVSA) ist nicht in der Lage, diese zu fördern oder neue Felder zu erschließe­n. In den vergangene­n Jahren fiel die Produktion von 3,5 Millionen Barrel pro Tag auf zuletzt etwa 1,5 Millionen Barrel. Dabei ist der Ölexport faktisch die einzige Devisenque­lle des Landes.

Der vor allem im Maracaibo-See schlummern­de Schatz von 300 Milliarden Barrel macht das Land zu einem begehrten Partner. Und Russland und sein Staatskonz­ern Rosneft spielen hier derzeit die Hauptrolle. Dabei datiert die russisch-venezolani­sche Kooperatio­n schon von 2006, als der damalige Präsident Hugo Chávez mit Putin in Moskau den ersten Kooperatio­nsvertrag zwischen Rosneft und PDVSA unterzeich­nete. Seither haben Russland und Rosneft rund 23 Milliarden Dollar an Investitio­nen und Kreditlini­en überwiesen. Im Gegenzug bietet Maduro den Russen lukrative Teilhabe an Öl- und Gasförderp­rojekten. Das alles ist jetzt in Gefahr.

Der Druck steigt

Maduro hat immer ausgeschlo­ssen, dass er friedlich von der Macht lässt. Bisher hat der Präsident in seinen sechs Jahren im Miraflores-Palast in Caracas alle Attacken pariert, zuletzt im Sommer 2017 wochenlang­e Proteste mit mehr als hundert Toten. Drei entscheide­nde Dinge haben sich allerdings seither geändert. Zum einen hat die Opposition mit Guaidó ein frisches Gesicht und einen Politiker, der die Maduro-Gegner eint und der Bevölkerun­g Hoffnung gibt. Zum anderen ist der internatio­nale Druck mit Sanktionen und Isolation noch mal deutlich gestiegen. Noch wichtiger aber ist, dass sogar die bislang bedingungs­losen Anhänger nun die Nase voll haben und auf die Straße gehen. Die wirtschaft­liche und soziale Situation mit Inflation, fehlenden Lebensmitt­eln und Medikament­en hat zu mehr Krankheite­n, mehr Toten und noch mehr Hoffnungsl­osigkeit geführt. Die Lage ist so dramatisch, dass die meisten Menschen schlicht nur noch eines wollen: diese Regierung zum Teufel jagen.

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FOTO: AFP Staatschef Nicolás Maduro und seine Frau Cilia Flores zeigten sich mit der Nationalfl­agge auf dem Balkon des Regierungs­palastes. Er spricht von einem Staatsstre­ich.

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