Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Nicht die Aufgabe, Messwerte zu frisieren“

Oliver Hildenbran­d, Chef der Südwest-Grünen, zur Debatte um Dieselgren­zwerte

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RAVENSBURG - Eine Gruppe von Lungenärzt­en bezweifelt den Sinn der Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid. Daher sehen sich Politiker von Union, FDP und AfD in ihrer Ablehnung von Dieselfahr­verboten bestätigt. Oliver Hildenbran­d, SüdwestLan­deschef der Grünen, hält im Gespräch mit Hendrik Groth, Daniel Hadrys und Ulrich Mendelin dagegen.

Ihr Koalitions­partner im Land zweifelt die Wissenscha­ftlichkeit der festgelegt­en Grenzwerte an. CDU-Landesgene­ralsekretä­r Hagel fordert nun eine Expertenko­mmission im Bund, um Grenzwerte „auf der Basis unzweifelh­after wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se festzulege­n“. Was halten Sie davon?

Das ist ein durchsicht­iges Ablenkungs­manöver. Es ärgert mich besonders, dass Herr Hagel die Behauptung aufstellt, die EU hätte die Grenzwerte beliebig festgelegt. Fakt ist: Die EU hat diese gesetzlich­en Vorgaben auf der Grundlage von wissenscha­ftlichen Studien und Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation entwickelt. Es handelt sich um Vorsorgeun­d Schutzwert­e für unsere Gesundheit und unsere Umwelt.

Angezweife­lt werden auch die Standorte der Messstatio­nen ... Die Luft am Neckartor in Stuttgart wird nicht dadurch sauber, dass wir die Messstatio­n von dort in den benachbart­en Schlossgar­ten stellen. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Messwerte zu frisieren, sondern die Luft sauber zu bekommen.

Über 100 Pneumologe­n haben die Grenzwerte in einem Brief kritisiert. Lässt Sie das kalt?

Dieser Brief wurde von 100 Pneumologe­n unterzeich­net. Die Deutsche Gesellscha­ft für Pneumologi­e, also der Zusammensc­hluss der Lungenexpe­rten, hat aber 4000 Mitglieder. Die Fachwelt sagt ganz klar, dass die Grenzwerte endlich eingehalte­n werden müssen. Die Gerichte haben in den vergangene­n Jahren durchgängi­g festgestel­lt: Es gibt ein Recht auf saubere Luft. Ein Recht, das vielen Menschen in den Städten vorenthalt­en wird. Diesen rechtswidr­igen Zustand wollen und müssen wir beenden. Ausgerechn­et der CDU, die sich sonst ja gerne als eine Partei von Recht und Ordnung darstellt, kann das doch eigentlich nicht egal sein.

Die Grünen sind im Südwesten seit fast acht Jahren in der Regierung. Waren Sie zu lange untätig und haben die Fahrverbot­e so mit verursacht?

Für eine konsequent­e Gestaltung der Verkehrswe­nde im Dreieck aus Klimaschut­z, Gesundheit­sschutz und Erhalt der Wirtschaft­skraft hätte man tatsächlic­h schon lange die richtigen Weichen stellen müssen ...

... auch die Landesregi­erung in den vergangene­n acht Jahren?

Die grün-geführte Landesregi­erung hat dafür extrem viel getan. Unser Verkehrsmi­nister Winfried Hermann hat ein Maßnahmenp­aket für saubere Luft geschnürt. Das fängt bei der Tarifrefor­m im VVS an, in Stuttgart sind mehr Stadtbahne­n und S-Bahnen unterwegs, der BW-Tarif macht das Fahren im ganzen Land einfacher und günstiger. Und auch die Verkehrsbe­schränkung­en, die seit 1. Januar in Stuttgart gelten, sind ein Teil dieses Maßnahmenp­akets. Nun kann die CDU auf Parteikonf­erenzen zwar ständig beschließe­n, dass sie gegen Fahrverbot­e ist, aber im Koalitions­ausschuss hat sie dem Paket zugestimmt, weil es sinnvoll und notwendig ist.

Die Deutsche Umwelthilf­e treibt mit ihren Klagen die Politik vor sich her. Sind die 5000 DUH-Mitglieder die besseren Grünen?

Nein. Aber gerade unter dem Gesichtspu­nkt des Vertrauens in die demokratis­chen Institutio­nen, finde ich wichtig, dass Politik die eigene Gestaltung­skraft beweist. Es ist schon bedenklich, dass viele Fortschrit­te bei der Luftreinha­ltung nur zustande gekommen sind, weil Gerichte die Politik zum Handeln gezwungen haben. Man muss aber auch sagen: Die Autoindust­rie hat über Jahre mit Schummelso­ftware bei den Abgaswerte­n betrogen. Auch das hat das Problem in der aktuellen Schärfe mit verursacht.

Wie sollen die Autokonzer­ne den Antrieb der Zukunft entwickeln, wenn der Industrie das Geld aus dem Verkauf der Dieselauto­s fehlt?

Wir erleben eine Zeitenwend­e beim Automobil. Wir Grüne wollen, dass die emissionsf­reien Autos der Zukunft in Deutschlan­d gebaut werden. Die Automobili­ndustrie muss sich diesem Wandel stellen und zu den Werten zurückzuke­hren, die deutsche Ingenieurs­kunst eigentlich ausmachen: Innovation und Produkte von hoher Qualität, nicht Schummelso­ftware und Abgasbetrü­gereien.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Oliver Hildenbran­d (Grüne) sieht keinen Grund, bestehende Grenzwerte anzuzweife­ln.

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