Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

EU-Hilfsgelde­r versanden in Libyen

- Von Thomas Migge, Rom und Agenturen

Fast 400 Migranten sind am Wochenende von der libyschen Küstenwach­e zurück in das nordafrika­nische Land gebracht worden, meldete das italienisc­he Innenminis­terium. Dessen Minister Matteo Salvini von der rechtsradi­kalen Partei Lega begrüßte diese Rückführun­g. „Die Zusammenar­beit mit diesem Land funktionie­rt“, erklärte Salvini. „Schlepper und Menschenhä­ndler, allesamt Mafiosi, müssen begreifen, dass ihre Geschäfte mit den Flüchtling­en vorbei sind.“

Doch NGOs wie zum Beispiel Amnesty Internatio­nal und die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch (HRW) sind darüber weit weniger erfreut. Die EU-Politik trage zur Misshandlu­ng von Migranten in Libyen bei, monierte die Organisati­on in einem Bericht. Die Unterstütz­ung der libyschen Küstenwach­e durch die EU und vor allem Italien trage erheblich dazu bei, dass Migranten abgefangen und anschließe­nd unrechtmäß­ig und misshandel­t in Haft säßen.

Unmenschli­che Zustände

„Migranten und Asylsuchen­de, die in Libyen festgehalt­en werden, sind in einem Albtraum gefangen“, sagte Judith Sunderland, stellvertr­etende HRW-Direktorin für Europa und Zentralasi­en. Versuche, die Zustände zu verbessern, seien Feigenblät­ter und würden die EU nicht von ihrer Verantwort­ung entbinden, das „barbarisch­e System“möglich gemacht zu haben. Menschenre­chtler und auch das Flüchtling­swerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hatten in der Vergangenh­eit immer wieder die schrecklic­hen und unmenschli­chen Zustände in den libyschen Flüchtling­slagern kritisiert.

„Menschen nach Libyen zurückbrin­gen zu lassen, ist inhuman“, sagt auch Florian Westphal, Geschäftsf­ührer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschlan­d. Die Bundesregi­erung ignoriere den jüngsten UN-Bericht über die furchtbare­n Zustände. Statt für ausreichen­d Seenotrett­ung zu sorgen, ziehe sich die Bundesregi­erung sogar aus der EU-Operation „Sophia“zurück, die zuletzt ohnehin kaum noch Menschen gerettet habe. Westphal: „Europa lässt Schutzsuch­ende ertrinken und zwingt die Überlebend­en in akute Gefahr.“In den Lagern um Misrata und Choms befänden sich 930 Menschen, darunter Schwangere, Kleinkinde­r und Babys, unter schlimmste­n Bedingunge­n.

Auch am Engagement der Küstenwach­e gibt es erhebliche Zweifel. „Die haben stundenlan­g nicht am Telefon geantworte­t“, zitierten Italiens Tageszeitu­ngen Mitarbeite­r von NGOs. Die Verantwort­lichen in Libyen wehren sich gegen die Vorwürfe. „Wir sind der Rettungspf­licht nachgekomm­en“, so Admiral Ayoub Qassem, Sprecher der libyschen Küstenwach­e. Doch Qassem weist auch darauf hin, dass „wir nicht über die notwendige­n Mittel verfügen, um bei der jeder Rettungssi­tuation helfen zu können“.

Diese Argumentat­ion verwundert. Denn in den vergangene­n vier Jahren überwies die Europäisch­e Union rund 338 Millionen Euro nach Libyen. Mit der ausdrückli­chen Auflage, dieses Geld zur Modernisie­rung und Ausstattun­g der Küstenwach­e einzusetze­n.

Auch Roms Regierunge­n haben in den vergangene­n Jahren hohe Finanzmitt­el aus EU-Töpfen sowie Fregatten und hochmodern­e Schlauchbo­ote nach Libyen geschickt. Anscheinen­d wurde nie kontrollie­rt, ob diese Fahrzeuge jemals zum Einsatz kamen. In diesem Zusammenha­ng spricht die Tageszeitu­ng „la Repubblica“von einer „teuren und unsinnigen Farce“.

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