Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Früher war mehr Verzicht
Das Gefühl, dass es vor 30 Jahren einfacher war, ein Haus zu finanzieren, täuscht – Rechenbeispiele aus dem Südwesten
RAVENSBURG - Überteuerte Angebote, überlaufene Besichtigungstermine und überhaupt keine Hoffnung mehr – davon erzählen viele junge Familien, die auf der Suche nach einem Eigenheim sind. „Früher, ja früher, da war das einfacher“, wird dann in den Raum geworfen, gefolgt von der nächsten Horrorstory von unverschämt teuren Bruchbuden. Doch was ist da wirklich dran? Ist es heute wirklich so viel schwieriger ein Haus zu finanzieren als vor 30 Jahren?
„Die Erschwinglichkeit ist heute weit besser als früher, deshalb stoßen wir auch in ganz andere Preiskategorien vor“, sagt Immobilienmakler Frank Baur, Chef von Baur Immobilien in Weingarten. Durch das höhere Haushaltseinkommen und die niedrigen Zinsen falle es einer Familie heute sogar in vielen Fällen leichter als früher, Wohneigentum zu finanzieren, erklärt er. „Bei meiner ersten Finanzierung, die ich vor 25 Jahren gemacht habe, lag der Zinssatz bei 9,8 Prozent“, erinnert er sich, „und ich war froh, dass es nicht zweistellig war.“Deshalb können sich Familien aktuell Immobilien auf einem Niveau leisten, die für deren Eltern unerschwinglich waren. Denn die hätten damals die entsprechende Darlehenssumme gar nicht aufbringen können, weil die Zinsbelastung so hoch war.
Rechenbeispiele aus dem Südwesten zeigen genau diese Tendenz, dass im Vergleich zu 30 Jahren zuvor der Anstieg des Lohnniveaus weit höher gewesen ist, als der Anstieg der durchschnittlichen Immobilienpreise. So hat im Kreis Biberach ein Ein- oder Zweifamilienhaus 2017 im Schnitt 346 600 Euro gekostet – und ist damit für mehr als die Hälfte der Alleinverdiener finanzierbar. 1987 war das anders, da konnte sich weniger als die Hälfte der Alleinverdiener die entsprechende Immobilie leisten, die damals im Schnitt 119 100 gekostet hat.
Im Ostalbkreis dagegen konnten sich ein durchschnittliches Ein- oder Zweifamilienhaus nur jene Familien leisten, bei denen beide Elternteile erwerbstätig waren. Bei einem Alleinverdiener mit mittleren Einkommen fehlen bei der Finanzierung schon 4350 Euro zum Preis von 268 600 Euro. Der Durchschnittspreis von 1987 allerdings ist mit 129 520 Euro fast doppelt so viel, wie sich ein Alleinverdiener damals hat leisten können.
Dass früher alles besser war, stimmt jedenfalls für den Erwerb und die Finanzierung eines Ein- oder Zweifamilienhauses so allgemein nicht. Der Grund ist die Entwicklungen der wichtigsten Faktoren für eine Immobilienfinanzierung: Das Einkommen, der durchschnittliche Immobilienpreis eines Ein- oder Mehrfamilienhauses und der Darlehenszins. Ferner ist eine weitere gesellschaftliche Entwicklung zu berücksichtigen: Vor 30 Jahren war die Zahl der allein verdienenden Ehemänner viel höher, heute ist das Modell, bei dem die Frau in Teilzeit und der Mann in Vollzeit arbeitet, am weitesten verbreitet. Nach Auswertungen des Statistischen Bundesamtes sind inzwischen bei 55 Prozent aller Paare in Deutschland beide erwerbstätig. Mitte der 1990er-Jahre dagegen ging noch bei 40 Prozent der Paare nur der Mann arbeiten.
Das Gefühl, dass es nicht reicht
So weit die Statistik, denn trotz der starken Entwicklung des Lohnniveaus, die sowohl über der der Immobilienpreise als auch über der der Verbraucherpreise liegt, ist früher doch etwas anders gewesen. Daher ist das Gefühl, dass es heute schwieriger ist, nicht ganz unbegründet.
Denn wegen der aktuell hohen Immobilienpreise ist das benötigte Eigenkapitel, um überhaupt eine Finanzierung bei der Bank oder Sparkasse zu bekommen, ebenfalls sehr hoch. Besonders für junge Familien ist es schwierig, so viel Eigenkapital in dieser frühen Lebensphase anzusparen.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Auf den gewohnten Lebensstandard will heute niemand mehr verzichten. In den 1980er-Jahren dagegen war die Bereitschaft sich einzuschränken, um sich ein Haus leisten zu können, größer. Das bestätigt Immobilienfinanzierungsexperte Andreas Heimpel. Um sich eine Immobilien leisten zu können, habe man sich früher jahrelang den Urlaub verkniffen, man habe lange Zeit nur für den Traum des Eigenheims gelebt. Heute möchte man diesen Traum verwirklichen, aber trotzdem noch in den Urlaub fahren, so Heimpel.
Auch der Direktor des Instituts für Arbeit (IAB), Joachim Möller, kommt zu diesem Schluss: „Der Maßstab für ein normales Leben ist ein anderer als früher“, hat Möller in der Wochenzeitung „Die Zeit“geschrieben. Unter diesem Aspekt sei das Gefühl, dass man für eine Familie mehr als ein Einkommen braucht, richtig – der Druck sei real.
Am Ende ist es also unser hoher Lebensstandard, der die für uns positive Differenz zwischen Lohn- und Immobilienpreisniveau egalisiert. Früher war weniger Haus – und vor allem mehr Verzicht.
Die Beispielrechnungen für die Landkreise auf einen Blick finden Sie in einer interaktiven Grafik unter: