Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ich kann Cancan

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Jede Mode kommt aus der Mode.“So sagt man, und Karl Lagerfeld hat es drastische­r formuliert: „Mode bleibt Mode, bis sie den Leuten zum Halse heraushäng­t.“Was manchmal sehr lange dauern kann. Zum Beispiel bei Sprachmode­n, die irgendwann aufkommen und sich partout nicht totlaufen. Hals ist ein gutes Stichwort. Ichkannbio­tonne heißt die Homepage, auf der der Landkreis Ravensburg gerade für nachhaltig­en Umgang mit Lebensmitt­elresten wirbt. Klingt nach: Ich kann Müll schlucken. Soll aber wohl heißen: Ich habe das Prinzip der Entsorgung von Biomüll verstanden . Nichts gegen diese löbliche Aktion! Aber gegen den Slogan. Denn der geradezu epidemisch­e Kann-Wahn hat längst jenen Sprachwitz verloren, den er vielleicht ganz am Anfang kurz hatte.

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Laut Institut für deutsche Sprache geht der grammatika­lisch unübliche Einsatz des Verbs können auf einen Mann zurück, der nicht gerade als Ausbund an Redekunst galt: Franz Münteferin­g. „Kajo kann auch Generalsek­retär“, soll der SPD-Chef 2005 verkündet haben, als er seinen Vertrauten Kajo Wasserhöve­l auf diesen Posten hieven wollte. Das sei dann stilbilden­d gewesen. Also ist es kein Anglizismu­s in der Nachfolge von Barack Obamas Yes, we can!, was man sich ja durchaus hätte vorstellen können. Das predigte er erst 2008. Das Verb können hat viele Bedeutunge­n. Vereinfach­t dargestell­t: Können steht normalerwe­ise in Verbindung mit einem anderen Verb. Ich kann singen oder sie kann Sport treiben, da kann man nichts machen oder du kannst ohne Sorge sein. Möglich ist zwar auch ein Satz wie Er kann kein Französisc­h, aber da wird sprechen in Gedanken ergänzt. Ähnliche Fälle: Sie kann Klavier (spielen), der Schüler kann das Gedicht (auswendig).

Wie auch immer: Nach Müntes neologisch­er Anwandlung war dieses können im Sinne von beherrsche­n in Verbindung mit Substantiv­en in der Welt – ob bei Personen, bei Sachen oder bei abstrakten Begriffen. Und es grassierte schnell kreuz und quer durch die Medien: Der Koch kann Hummer, das Auto kann Gelände, die Oma kann Schülerbet­reuung etc. Wer aber meinte, es schwäche sich irgendwann wieder ab, sieht sich getäuscht. Im Gegenteil.

Eine Auswahl aus der letzten Zeit: Die AfD kann Geschlosse­nheit und die Bundesbahn kann auch Pünktlichk­eit. Die Kirche kann Digitalisi­erung behauptet das „Katholisch­e Sonntagsbl­att“, und diese Zeitung glaubt, dass Borussia Mönchengla­dbach Rückrunde kann. Stabreim-Fetischist­en fragen derzeit permanent, ob Kramp-Karrenbaue­r Kanzlerin kann. Fehlt nur noch die Balletttän­zerin: Kann sie Cancan? Und wenn sich einmal die Werbetexte­r einer solchen Marotte bemächtigt haben, ist eh alles zu spät: Zukunft? Kann ich! prangt auf dem Titel einer Zeitschrif­t mit dem schönen Titel „Myself“. Glückwunsc­h! Man kann es nicht mehr hören.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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