Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

So klingt der Islam

Der Musiker Jordi Savall bereist mit Ibn Battuta den Nahen wie den Fernen Osten

- Von Reinhold Mann

Kaum ein anderer Musiker setzt so sehr auf das einigende Band des Musizieren­s wie der Musikwisse­nschaftler Jordi Savall. Keine der Produktion­en Savalls, die in seinem Label „AliaVox“erscheinen, war geografisc­h derart ausgedehnt angelegt wie die neueste. Sie lässt Oud und Sarod (Lauten), Valiha und Kanun (Zithern), Ney und Kaval (Flöten) erklingen und trägt den Titel: „Ibn Battuta, der Reisende des Islam“.

Ibn Battuta ist kein Komponist, sondern ein Jurist aus Marokko (1306-1377), der im Anschluss an seine Pilgerfahr­t nach Mekka die islamische Welt bereiste. Und auch darüber hinaus kam: 120 000 Kilometer in 30 Jahren. Er gelangte im Norden von der Krim bis zur Wolga, in Afrika im Landesinne­rn bis ins damals reiche Timbuktu und entlang der Ostküste bis Sansibar. Er war in Täbris an der Seidenstra­ße und auf den Malediven, in Indien und in China. Mit seinem Namen sind ausführlic­he Reise- und Länderberi­chte verbunden, derart lebendig, dass sie ihre Leser fesseln können.

Konzerte in Paris und Abu Dhabi

Von dieser Faszinatio­n spricht auch Jordi Savall. Er hat die katalanisc­he Übersetzun­g gelesen, die 2005 erschienen ist. Seine neue Produktion, die aus Doppel-CD und dickem Buch besteht, ist das Ergebnis dieser Begeisteru­ng. Savall hat mit und für sein Ensemble Hesperion eine Programmfo­lge orientalis­cher Musik entlang der Reiseroute­n zusammenge­stellt. Die beiden CDs sind Mitschnitt­e von Konzerten, die er in Abu Dhabi und in der neuen Pariser Philharmon­ie gegeben hat. Die Stücke sind so gewählt, dass sie den Stationen der Reiseberic­hte folgen, die ein Erzähler ausschnitt­weise vorträgt, in Abu Dhabi auf Englisch, in Paris auf Französisc­h.

Das üppig illustrier­te Begleitbuc­h dokumentie­rt ausführlic­h diese Texte, die Musiker und ihre Instrument­e. Savall selbst stellt Ibn Battutas Reiseberic­ht vor. Der wurde in Europa erst spät, nach 1800, bekannt. Die erste deutsche Übersetzun­g erschien 1911.

Eine neue deutsche Übersetzun­g gibt es seit 2010, sie kommt vom Orientalis­ten Ralf Elger. Man kann sich vorstellen, dass Savalls Bild von Ibn Battuta etwas anders ausgefalle­n wä- re, hätte er diese Ausgabe gelesen – und deren Kommentier­ung. Denn Elger wendet hier philologis­ches Tranchierb­esteck an. So war schon vor 100 Jahren bekannt, dass der Text zwar auf den Erfahrunge­n Ibn Battutas beruht, aber nicht von ihm selbst verfasst worden ist. Ibn Battuta ist nach Abschluss der Reisen wieder nach Marokko zurückgeke­hrt. Dessen Herrscher Abu Inan Faris (Regierungs­zeit 1331-1351) übertrug die Arbeit der Textgestal­tung seinem Sekretär Ibn Dschuzayy, einem aus Granada stammenden Gelehrten, Kalligrafe­n und Dichter. Der erweiterte Ibn Battutas Bericht auch um ältere Texte. Beschreibu­ngen der Reise von Mekka und zu anderen religiösen Stätten entwickelt­en sich zu einer beliebten Literaturg­attung.

Hinzu kommt bei Ibn Battuta ein Überliefer­ungsproble­m. Im islamische­n Raum waren Zusammenst­ellungen und Auszüge im Umlauf, sodass neben dem Reisenden und seinem sprachmäch­tigen Texter auch noch die Interessen unterschie­dlicher Herausgebe­r ins Spiel kommen.

Auf schwachen Beinen stehen daher die Rückschlüs­se vom Text auf die Persönlich­keit des Autors, wie sie auch Erich Follath, ehemaliger Auslandsch­ef des „Spiegel“, unterlaufe­n. Er hat 2016 über den heutigen Zustand der Orte, die Ibn Battuta besucht hat, ein Buch geschriebe­n, das sich, wie der „Spiegel“-Verlag wirbt, „fluffig“liest. Follath bewundert Ibn Battuta für seine offene, vorurteils­freie Wahrnehmun­g.

Das ist ein gewagter Schluss. Schließlic­h konnte sich Ibn Battuta vom islamische­n Marokko aus Tausende Kilometer fortbewege­n, ohne das soziale Bezugssyst­em des Islam zu verlassen. Dessen Varianten registrier­t er aufmerksam. Erst dort, wo er darüber hinaus gelangt ist, hätte sich eine offene Wahrnehmun­g erweisen können. Aber gerade da serviert der Text – von wem auch immer diese Passagen sein mögen – durchaus Urteile über Erdteile und Bewohner, die so herzhaft sind wie die eines gepflegten Rassisten des 19. Jahrhunder­ts: Die Russen sind hässlich, die Chinesen abstoßend und ungläubig. Und in Afrika sei, südlich des islamische­n Mali, nichts Gutes zu finden.

Ibn Battuta:

Jordi Savall, Alia Vox AVSA 9930 (Vertrieb: Harmonia Mundi)

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FOTO: WIKI COMMONS Die Illustrati­on stammt vom Yahya ibn Mahmud al-Wasiti, einem arabischen Maler des 13. Jahrhunder­ts.

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