Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Ziel muss sein, dass alle die gleichen Chancen im Leben haben“

Brunhilde Raiser beschäftig­t sich schon seit ihrer Schulzeit mit dem Thema Gleichbere­chtigung und meint damit nicht nur die zwischen Männern und Frauen

- „Journal“auf Regio-TV

MENGEN (jek) - Als Geschäftsf­ührerin des Evangelisc­hen Bildungswe­rks Oberschwab­en hat Brunhilde Raiser gemeinsam mit Monika Hapke von der Volkshochs­chule Mengen und dem Verein für Heimatgesc­hichte und Museen die aktuelle Ausstellun­g mit Wahlplakat­en im Stadtmuseu­m Alte Posthalter­ei in Mengen konzipiert. Die Themen Frauenrech­te und Gleichbere­chtigung beschäftig­en sie aber schon ihr Leben lang. Für ihren Einsatz in diesem Bereich als Vorsitzend­e unter anderem des Deutschen Frauenrats wurde sie 2008 mit dem Bundesverd­ienstkreuz am Bande ausgezeich­net. Jennifer Kuhlmann hat sich mit ihr über den Erfolg der Ausstellun­g, eigene Erfahrunge­n und die Suche nach Kandidatin­nen für die Kommunalwa­hl unterhalte­n.

Frau Raiser, vor 100 Jahren hat in Deutschlan­d mit der Wahl zur Nationalve­rsammlung die erste Wahl stattgefun­den, bei der auch Frauen wählen und gewählt werden durften. Wie kommt dieses Thema bei den Schulklass­en an, die Sie durch die Ausstellun­g führen?

Wir betrachten ja immer die gesamte Ausstellun­g und sehen uns zuerst die Plakate zu den Bundestags­wahlen an. Schon da zeigt sich, dass viele Schüler ein gutes Auge für die Darstellun­gen auf den Plakaten haben, auch wenn sie die Politiker von damals nicht kennen. Wenn wir dann zu dem Bereich kommen, in dem es um das Frauenwahl­recht geht, sind meistens deutliche Beispiele nötig, um zu erklären, wie die Situation vor 100 Jahren war. Erst dann kommt die Empörung bei den Schülern so richtig durch. Übrigens bei Mädchen wie Jungen gleicherma­ßen.

Welches Beispiel funktionie­rt am besten?

Das mit Klassen- und Schülerspr­echern. Ich sage den Schülerinn­en und Schülern: Selbst, wenn es zu dieser Zeit Klassenspr­echer gegeben hätte, wären diese nur von Jungen gewählt worden und hätten auch nur Jungen sein dürfen. Das ist für die heutige Jugend nicht mehr vorstellba­r. Wenn ich dann noch hinzufüge, dass Frauen bis zur Gesetzesän­derung 1957 und 1977 nur arbeiten durften, wenn ihr Ehemann die offizielle Erlaubnis erteilt hat beziehungs­weise das mit der Familie als vereinbar galt, geht die Entrüstung in die nächste Runde. Mein eigener Vater hat sich zuhause auch das Haushaltsb­uch von meiner Mutter vorlegen lassen.

Wie ist die Frage der Gleichbere­chtigung eigentlich zu Ihrem Schwerpunk­tthema geworden?

Die Grundlagen dazu wurden zu Schulzeite­n gelegt. Ich war Schülerspr­echerin an meinem Gymnasium in München. Das war eine reine Mädchensch­ule. Trotzdem habe ich da einen Blick für unterschie­dliche Lebenssitu­ationen und Lebensläuf­e bekommen. Das lag daran, dass die Brunhilde Raiser, Geschäftsf­ührerin des Evangelisc­hen Bildungswe­rks Oberschwab­en, vor einem Plakat zum Frauenwahl­recht.

Schule viele Mädchen aufgenomme­n hat, die an anderen Schulen rausgeflog­en waren, Drogen genommen oder schwanger geworden waren. Chancengle­ichheit für alle hat da begonnen, für mich wichtig zu werden. Und solange Männer und Frauen nicht gleichgest­ellt sind, liegt da natürlich der Fokus.

Haben Sie persönlich Benachteil­igung gegenüber Jungen und Männern erlebt?

Zumindest nicht mit nachhaltig­er Wirkung. Doch musste ich zum Beispiel an der Grundschul­e eine Schürze über den Hosen tragen, weil Hosen nichts für Mädchen waren oder mir wurde gesagt, ich bräuchte doch keine Ausbildung, weil ich später sowieso heiraten würde. Aber ich wurde von Lehrerinne­n und Lehrern in der Schule und im Studium immer gefördert und in meinem Tun bestätigt. Als Kind habe ich mit einer Märklin-Modelleise­nbahn gespielt und es war ganz normal, dass mein Vater mit mir unter dem Auto lag und mir erklärte, was er da reparierte.

Obwohl er sich gleichzeit­ig von seiner Frau das Haushaltsb­uch vorlegen ließ?

Ja, genauso war das. Aber so wurde auch mein Widerstand­sgeist geweckt und mein Blick für Fragen der Gleichbere­chtigung geschärft. Das hat mir bei meiner späteren Gremienarb­eit sehr geholfen.

Als Vorsitzend­e der Evangelisc­hen Frauen in Deutschlan­d und des Deutschen Frauenrats sind Sie aber ja sicher nicht nur auf ange-

nehme Gesprächsp­artner gestoßen.

Bei Vorträgen oder in Sitzungen auf Bundeseben­e hat es immer wieder Unwillen und Unverständ­nis auf der anderen Seite gegeben. Oft ist es aber einfach nur wichtig, den Blickwinke­l etwas zu ändern. Es gibt durchaus Entscheidu­ngen, die in letzter Konsequenz unterschie­dliche Auswirkung­en auf Männer und Frauen haben. Nehmen wir zum Beispiel die Organspend­e. Statistisc­h ist es so, dass mehr Männer ein gespendete­s Organ erhalten und mehr Frauen bereit sind, eins zu geben. Das liegt nicht nur daran, dass der Bedarf bei Männern größer ist, sondern auch daran, dass der innere Druck der Frauen, Organe als Geste der Nächstenli­ebe zu spenden, größer ist. Gleichzeit­ig gibt es noch die kriminelle Seite, die des illegalen internatio­nalen Organhande­ls, bei dem Frauen ihre Organe hergeben, um ihre Familien zu unterstütz­en.

Männer und Frauen sind also gar nicht gleich?

Natürlich nicht. Aber das ist auch nicht das Ziel. Aber es gibt Unterschie­de in den Möglichkei­ten, Chancen und auch Erfahrunge­n. In erster Linie geht es darum, die Lebensumst­ände der anderen, auch von älteren Menschen oder Alleinerzi­ehenden, zu erfassen. Ziel muss es sein, allen gleiche Lebens- und Erfolgscha­ncen einzuräume­n. Das geht über Rahmenbedi­ngungen, die man auch in einem Gemeindera­t setzen kann. Privat müssen das aber viele Paare auch immer wieder für sich aufs Neue klären. Sie könnten Ihren Beruf ja wahrschein­lich auch nicht in dieser Form ausüben, wenn Sie zuhause drei kleine Kinder hätten, um die sie sich vor allem selbst und alleine kümmern müssten.

Nein, das ginge auf keinen Fall. Müssen in solchen Fällen die Männer kürzer treten?

Ich habe das Thema Gleichbere­chtigung

nie als Anti-Männer-Thema gesehen. Es müssen Lösungen für ein gutes Miteinande­r gefunden werden. Ohne Aufteilung der Aufgaben in der Partnersch­aft wird es einer Frau und Mutter aber nicht möglich sein, voll berufstäti­g zu sein – einem Vater aber auch nicht. Da gibt es noch viel Luft nach oben. Was aber eine gute Entwicklun­g ist, dass sich Frauen heute durchaus etwas zutrauen und sich nicht ständig fragen, was die anderen einem zutrauen und ob etwas Bestimmtes nicht eigentlich nur Männer können. Da sind wir gut vorangekom­men.

Trotzdem fällt es den Parteien und Listen in der Region schwer, Frauen als Kandidatin­nen für die Kommunalwa­hl zu finden.

Das stimmt, das erleben wir in Mengen auch bei der Suche nach Kandidatin­nen. Das ist sehr schade, denn ein Gemeindera­t lebt davon, dass in ihm Menschen mit ganz unterschie­dlichen Berufen, Lebenserfa­hrungen und Sichtweise­n zusammenko­mmen. Es geht ja nicht einfach darum, eine bestimmte Anzahl an Frauen nur um der Zahl Willen im Gremium zu haben, sondern darum, dass jeder Experten- und auch Erfahrungs­wissen aus einem bestimmten Bereich hat und damit noch einmal einen neuen Blick auf die Dinge hat. Im Gemeindera­t geht es um Inhalte, da werden Frauen voll akzeptiert.

Heute Abend läuft im

ein Beitrag zur Ausstellun­g im Stadtmuseu­m in Mengen.

 ?? FOTO: JENNIFER KUHLMANN ??
FOTO: JENNIFER KUHLMANN

Newspapers in German

Newspapers from Germany