Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Den Traum weiterleben
Und jetzt Norwegen: Die deutschen Handballer wollen auf der Euphoriewelle nach Herning
HAMBURG - Noch ein Sieg, dann wird auf jeden Fall gefeiert. Dann können die Fans ihre DHB-Auswahl ganz nah erleben. Noch einmal siegen, dann wissen alle Handball-Enthusiasten, dass Kapitän Uwe Gensheimer, Torhüter Andreas Wolff oder AbwehrAss Patrick Wiencek nach Berlin kommen, um mit ihnen das zu krönen, was sie sich selbst in dann 17 Tagen aufgebaut haben. In mehr als zwei WM-Wochen, in denen die Mannschaft immer mehr Millionen TV-Zuschauer in ihren Bann zog, Familien und Kinder, alle Altersgruppen für ihren Handballsport begeisterte.
Doch noch ist es nicht so weit, auch wenn das Team auch im Falle einer Niederlage im Halbfinale gegen Norwegen (20.30/ARD) in den dänischen Finalspielort Herning reisen würde, um um den dritten Podestplatz zu spielen. Noch ist ein schwerer Brocken aus dem Weg zu räumen, auch wenn die deutsche Mannschaft als Favorit gilt. Vielleicht konnte Christian Prokop auch deshalb nicht so gut schlafen, obwohl die Reise aus dem rheinischen Köln nach Hamburg nach dem 31:30-Sieg gegen Spanien „angenehm war“. Der Bundestrainer wirkte ungewohnt angespannt, scherzte zwar: „Nicht so viele Fotos heute, ich habe schlecht geschlafen, nehmt lieber Archivaufnahmen“, doch weiß der 40-Jährige um seine Aufgabe.
Gegen Norwegen ist sein Team wirklich Favorit – beinahe zum ersten Mal während dieser Weltmeisterschaft, von den Spielen gegen Brasilien und Korea abgesehen. Und noch etwas nagt eventuell am Bundestrainer: Hamburg galt als das Ziel der Auswahl. Hier sind sie nun – und dennoch längst nicht satt.
Ganz Deutschland hofft auf mehr. Genauso wie das Team.
„Hamburg war das große Ziel zum ganz großen Ziel. Ich bin gespannt, wie die Arena morgen brennt“, sagte Rückraumspieler Fabian Böhm. Und auch Prokop erklärte: „Wir waren vor drei Wochen zum Lehrgang hier und haben uns mit viel Sehnsucht das Halbfinale gewünscht. Nun ist es einfach geil für uns, den Traum weiterleben zu können.“Diesen Traum weiterleben und am Sonntag um die WMTrophäe spielen. Das wollen sie. Das wollen die Fans erleben, beim Rudelgucken in den Bars, mit Freunden und der Familie oder sonstwo.
Handball, das haben viele erkannt, das macht richtig Spaß. Körperkontakt, kein Palaver, ständige Spannung: Fan geworden sind auch andere Sportler. Für den dreimaligen Ringer-Weltmeister Frank Stäbler ist Handball „die härteste, spektakulärste und geilste Ballsportart der Welt“. Der Musberger sieht gute Chancen auf das vierte deutsche WM-Gold nach 1938, 1978 und 2007. „Die Euphorie ist ausgebrochen, gefühlt steht jetzt ganz Deutschland hinter den Handballern“, sagte Stäbler. „Mit dieser Wand im Rücken ist der Titel möglich, was ich ihnen sehr wünsche.“Selbst VfBStuttgart-Trainer Markus Weinzierl hätte die Prokop-Schützlinge jetzt gerne im Abstiegskampf an seiner Seite. „Es ist klar, dass jeder Trainer froh ist, wenn er Typen auf dem Feld hat, die so agieren, wie es die Handballer aktuell machen“, sagte der Coach der Schwaben. „Wenn man die Begeisterung sieht, wenn man das Miteinander sieht, wenn man die Emotionen sieht, das ist absolut schön anzuschauen – und da ist man Fan und fiebert mit. Da kann sich auch der Fußball was abschauen.“
Worte, die nicht alltäglich sind. Schon gar nicht aus einer Sportart, die sonst jegliche Aufmerksamkeit aufsaugt. Doch aktuell ist nicht mehr verkehrte, sondern im Sinne viele Enthusiasten endlich mal richtige Sportarten-Welt. Die Nachfrage ist sogar dermaßen hoch, dass selbst die Hauptakteure privat kräftig ins Schlingern kommen. Familie, Verwandte, Freunde, alle wollen die Jungs auf ihren letzten Stationen begleiten. „Ich musste alleine 16 Karten für Hamburg besorgen. Da wird eine große Böhm-Fraktion in der Halle sein“, erzählt Fabian Böhm. Kai Häfner hatte nicht so viel Glück: „Die Halle ist ja ausverkauft, und ich konnte bisher nur fünf Tickets bekommen, mal schauen, was sich noch machen lässt.“
Und sollte der Sieg gegen Norwegen gelingen, bleibt Familie Häfner und allen anderen ja immer noch Berlin, wie DHB-Präsident Andreas Michelmann ankündigte. Egal ob als Vizeoder Weltmeister, dann „werden wir Montag von Herning nach Berlin reisen, um mit unseren Fans dort eine Feier zu veranstalten.“
Denn der Traum lebt weiter.