Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Mit Holz hoch hinaus

In Heilbronn bauen sie gegenwärti­g Deutschlan­ds höchstes Holzhochha­us – Immer mehr solcher Gebäude entstehen

- Von Uwe Jauß

HEILBRONN - Der erste Blick von einer Neckarbrüc­ke aus ist alles andere als eine Offenbarun­g. Er ruht auf der Baustelle eines eher niedrigen Hochhauses auf dem ehemaligen Hafengelän­de von Heilbronn. Arbeiter gehen ein und aus. Ein Kran hievt surrend Material in höhere Etagen. Aus der Distanz nichts Aufregende­s feststellb­ar – eine Baustelle eben. Gearbeitet wird dort für den Start der Bundesgart­enschau im Frühjahr. Besonders wird die Baustelle erst durch folgende Nachricht: Hier entsteht das gegenwärti­g höchste Holzhochha­us Deutschlan­ds, liebevoll Skaio genannt. Die ersten vier Buchstaben stehen dabei lautmaleri­sch für das englische Wort „sky“, also Himmel. Das „o“in der Endung stammt aus Holz.

60 Wohnungen, zehn Geschosse, 34 Meter Höhe: „Auf Skaio sind wir stolz“, sagt Ute Ecker-Offenhäuße­r, Sprecherin des verantwort­lichen kommunalen Unternehme­ns Stadtsiedl­ung Heilbronn. Mit 15,4 Millionen Euro Kosten ab Kellerdeck­e hat das Projekt einen beachtlich­en Preis, Ecker-Offenhäuße­rs Begeisteru­ng tut dies aber keinen Abbruch. Sie zeigt ausführlic­h diverse Stockwerke und künftige Appartemen­ts. Man sieht, dass Skaio nicht ausschließ­lich in Holzskelet­tbauweise errichtet wird. Holz ist zwar überall verbaut worden, Stahlbeton­teile sind jedoch ebenso feststellb­ar. „Im Erschließu­ngskern mit dem Fahrstuhls­chacht und Treppenhau­s sowie im Sockelgesc­hoss“, erläutert Ecker-Offenhäuße­r.

Hybrid mit Aluminiumt­eilen

100 Prozent Holz kommen hiermit nicht zusammen. An den Außenwände­n wird das Naturmater­ial sogar durch Aluminiump­latten kaschiert. Ein hilfreiche­r Wetterschu­tz. Gemäß architekto­nischer Definition handelt es sich deshalb bei Skaio dann auch um ein Holzhybrid-Hochhaus. Das heißt, der überwiegen­de Teil der Baumasse ist zwar aus dem nachwachse­nden Rohstoff, aber nicht alles. Der Bedeutung des Unterfange­ns tut dies jedoch keinen Abbruch. Die zunehmende Akzeptanz von Holz selbst im Hochhausba­u ist ein großes Thema.

In etwas geringerer Größe existieren bereits solche Gebäude in Deutschlan­d, doch die Ambitionen werden größer. Ein Beispiel ist Pforzheim. Am westlichen Zugang zur Stadt an der Enz ist ein Holzhochha­us mit 38 Metern geplant. In der Hamburger Hafencity soll es sogar bis auf 64 Meter gehen. Im internatio­nalen Maßstab liegt Deutschlan­d da noch weit zurück: In Wien wird im Frühjahr das HoHo fertig, 84 Meter hoch. Experten halten sogar bis zu 300 Meter hohe Wolkenkrat­zer aus Holz für möglich.

Dem architekto­nischen Laien mag es dabei schummrig werden. Die Befürchtun­g, dass aus einem solchen Holzturm im Brandfall sofort eine lodernde Fackel wird, liegt nahe. Oder dass ein Sturm das Gebäude knicken lässt wie eine morsche Fichte. „Völliger Unsinn“, meint Markus Lager vom Berliner Architektu­rbüro Kaden und Lager, einem der Pioniere auf dem Gebiet mehrgescho­ssiger Holzhäuser. An die Spezialist­en aus der Bundeshaup­tstadt ist dann auch der Auftrag fürs Skaio vergeben worden. Lager sieht die Aufgabe erst einmal recht gelassen: „Beim Hochhausba­u hat man grundsätzl­ich hohe Anforderun­gen. Dies betrifft beispielsw­eise die Fluchtwege und den Brandschut­z.“

Eine Grundsatze­ntscheidun­g kam ihnen in dieser Sache entgegen, nämlich der betonierte Gebäudeker­n des Skaio. „Notwendig wäre er nicht gewesen. In Holzbauwei­se hätte er aber monetär wie baulich einen größeren Umfang gehabt“, erklärt Lager. Mit Stahlbeton lässt sich die vorgeschri­ebene Brandsiche­rheit einfacher erreichen. Der Rest hört sich nach Routine an. So geht es darum, im Ernstfall das Treppenhau­s rauchfrei zu halten. Im Skaio helfen dabei Ventilator­en, um in diesem Fluchtwegb­ereich einen Überdruck zu erzeugen. Rauch bleibt so außerhalb. Zum Brandschut­zkonzept gehört auch eine Hochdruckf­einnebelLö­schanlage – das Modernste, was auf dem Markt verfügbar ist. Wassernebe­l erstickt die Flammen.

Schwierige­r scheint der Schallschu­tz im Skaio gewesen zu sein. Knarrende Holzdielen sind jedem Altbaubewo­hner bekannt. Bei einem ambitionie­rten neuen Gebäude wäre so etwas aber Pfusch am Bau. Lager berichtet von den schwierige­n Planungen: „Beim Aufbau der Decke haben wir teilweise Neuland im Hochhausbe­reich betreten.“Er meint unter anderem das Verwenden von kreuzweise verleimten Fichtenlam­ellen. Darauf kommen mehrere Schichten Trittschal­ldämmung, Gipsfaserp­latten und Schüttunge­n. Offenbar hilft es. Beim Baustellen­besuch sind Schritte und Arbeitslär­m von anderen Etagen nur gedämpft hörbar.

Grundsätzl­ich wurde den Architekte­n aufgetrage­n, das Skaio ökologisch zu gestalten. Diverse Kleber oder Verbundwer­kstoffe fielen deshalb weg. Eine weitere knifflige Angelegenh­eit. Erfahrung half jedoch. Lager betont: „In das Skaio ist jede Menge Know-how aus vorigen Architektu­rund Forschungs­projekten eingefloss­en.“Er geht davon aus, dass der Holzbau eine große Zukunft hat. Kein Material sei ökologisch­er: Es wächst nach. Außerdem helfe das Holz, ehrgeizige Klimaziele einzuhalte­n, weil es Kohlendiox­id einlagert. Immer wieder wird von entspreche­nd interessie­rten Architekte­n auch der Baustoff generell gelobt: als stabil, mit wenig Eigengewic­ht, aber hoher Tragkraft. Er stehe Stahl damit in nichts nach, heißt es.

Lager verweist darauf, dass 1991 laut Statistike­n im Bundesgebi­et acht Prozent der Gebäude in Holzbauwei­se erstellt worden seien. 2017 habe die Zahl bereits bei 17 Prozent gelegen. „Dieser Trend muss sich aber beschleuni­gen“, fordert Lager. Der Bedarf sei da.

Baden-Württember­g liegt vorn

In waldreiche­n Bundesländ­ern wie Baden-Württember­g kommt man Lagers Einschätzu­ng näher. Anders als bei den bundesweit­en Zahlen wird hier deutlich, dass bereits jedes dritte Gebäude aus Holz gebaut wird. Das für den Forst zuständige Ministeriu­m für Ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz in Stuttgart sieht schon Grund zum Feiern: BadenWürtt­emberg sei das Holzbaulan­d Nummer 1.

Für Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk scheint es sogar ein Herzensanl­iegen zu sein, in diesem Bereich einiges zu bewegen. Der CDUPolitik­er ist studierter Förster und hat eine Holzbau-Offensive ins Leben gerufen. Demnach will die Landesregi­erung bis 2023 rund 17 Millionen Euro in dieses Programm investiere­n. Hauk glaubt: „Holzbau kann sowohl in den urbanen Zentren als auch im ländlichen Raum insbesonde­re im größer dimensioni­erten Mietwohnba­u und im Rahmen der Verdichtun­g rasche und qualitätsv­olle Lösungen bieten.“

Eine wesentlich­e Grundlage für die Holzeuphor­ie wurde aber woanders gelegt. Um dem auf die Spur zu kommen, muss man BadenWürtt­emberg verlassen und über den Bodensee nach Vorarlberg reisen. Ausgehend von den 60er-Jahren entwickelt­e sich dort eine Bauschule, die heutzutage global in der Architekte­nszene als Neue Vorarlberg­er Bauschule oder Vorarlberg­er Holzarchit­ektur bekannt ist. Bei ihr geht es um nachhaltig­es sowie rationales Bauen.

Lange Zeit strebten die Vorarlberg­er aber nicht in die Höhe. Sie fürchteten eng ausgelegte Bau- und Brandschut­zvorschrif­ten – kurzum Regeln, die Kosten und Komplexitä­t eines aufragende­n Holzbaus höchst unangenehm steigern würden. Aber 2011 wollte es das renommiert­e Büro Hermann-Kaufmann-Architekte­n wissen. Es wagte sich in einem Dornbirner Gewerbegeb­iet an ein 27 Meter hohes Holzhaus mit acht Etagen. Der 2012 fertiggest­ellte Life Cycle Tower galt seinerzeit als Rekord.

Das Bürogebäud­e ist übrigens wie das Heilbronne­r Skaio ein Hybridbau aus Holz mit Stahlbeton­kern. Projektlei­ter war Christoph Dünser. „Wir wollten beweisen, dass man mit Holz hoch bauen kann“, erinnert er sich. In Anbetracht der recht strengen österreich­ischen Vorschrift­en habe sich sein Team auf folgenden Standpunkt gestellt: Wenn sie für Dornbirn eine Genehmigun­g bekämen, würden sie es überall schaffen.

Die in Dornbirn gemachten Erfahrunge­n konnten die Hermann-Kaufmann-Architekte­n zwischenze­itlich als Berater beim Bau des gegenwärti­g weltweit höchsten Holzhauses im kanadische­n Vancouver verwenden, einem Studentenw­ohnheim mit 53 Metern Höhe. Auch hier kam die Hybridbauw­eise zum Einsatz. Wo nötig, wurde Holz hinter dreifachen Trockenbau­wänden gekapselt. So kann laut Dünser das Ausbreiten eines Brandes mehr als eine Stunde lang verhindert werden.

Vorgeferti­gte Module

Des Weiteren wurde in Vancouver auf ein Holzbauver­fahren zurückgegr­iffen, bei dessen Entwicklun­g die Vorarlberg­er ebenso führend waren: das Verwenden von vorgeferti­gten Modulen, ein Verfahren, das dem beim Fertighaus ähnelt. Zimmerleut­e bereiten im beauftragt­en Unternehme­n alles vor, dann wird das Modul angeliefer­t. So kann schnell gebaut werden, und Zeit ist bekanntlic­h Geld. Vom Innenausba­u abgesehen, stand das Studentenw­ohnheim in zwei Monaten.

Beim Heilbronne­r Skaio läuft es durch das Verwenden entspreche­nder Module ähnlich rasch. Für einen Laien ist dies fast wie das Aufeinande­rstapeln von Holzklötze­n. „Wir bauen ein Stockwerk pro Woche“, sagt Markus Brandl, Projektlei­ter bei Züblin Timber, einem Spezialber­eich des traditione­llen Stuttgarte­r Baukonzern­s Züblin. Sollte das Skaio einmal am Ende sein, ließe sich das Gebäude auf diese Weise noch viel schneller wieder abbauen. Zudem trete ein weiterer Vorteil des Heilbronne­r Holzhochba­us zutage, heißt es von der Stadt, von Architekte­n und Projektlei­tern: „Das Skaio ist zu 100 Prozent recycelbar.“

Der Berliner Architekt Markus Lager

„Beim Hochhausba­u hat man grundsätzl­ich hohe Anforderun­gen.“

„Holzbau kann insbesonde­re im Mietwohnba­u rasche und qualitätsv­olle Lösungen bieten.“ Landwirtsc­haftsmnini­ster Peter Hauk

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FOTO: JAUSS Das Skaio in Heilbronn: Holz ist Trumpf, auch wenn es nicht gleich ins Auge springt.

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