Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Kurswechse­l ist längst vollzogen

- Von Ulrich Mendelin

Die CDU kann und will die Politik von Angela Merkel in der Flüchtling­skrise von 2015 im Nachhinein nicht öffentlich als Irrtum brandmarke­n. In der Praxis aber hat die Union den Kurswechse­l längst vollzogen, die „Willkommen­skultur“ist Geschichte. Nicht umsonst hatte die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r zum Werkstattg­espräch eingeladen. In die Werkstatt geht man, wenn etwas kaputt ist und repariert werden soll.

Wenige Neuankömml­inge, viele Abschiebun­gen – für diesen Kurs möchte die Regierungs­partei CDU heute stehen. So ganz klappt das aber nicht: Die Diskrepanz zwischen der Zahl der Ausreisepf­lichtigen und der Zahl derjenigen, die tatsächlic­h ausreisen, ist nach wie vor groß. In diesem Missverhäl­tnis liegt die vielleicht größte Gefahr für die Akzeptanz der deutschen Asylpoliti­k: Welchen Sinn macht ein Asylverfah­ren, wenn der Betreffend­e – unabhängig vom Ergebnis – auf jeden Fall im Land bleibt?

Es ist nicht die Aufgabe der Union, diesen Sachverhal­t lautstark zu beklagen – das besorgt bereits die Opposition ganz rechts außen. Es ist aber sehr wohl ihre Aufgabe, effektive Abhilfe zu schaffen. Wobei die Betonung auf effektiv liegt. Eine schnelle Behandlung der Asylanträg­e durch die Behörden ist wünschensw­ert. Das hat in der Praxis aber den Nachteil, dass die Entscheide oft fehlerhaft sind. Fast jeder fünfte beklagte negative Asylbesche­id wird vor Gericht zugunsten des Asylbewerb­ers geändert. Auch spricht an sich wenig gegen die Ausweitung der Zahl der sicheren Herkunftsl­änder. Doch wenn die Union ihr Herzensanl­iegen vorantreib­t, obwohl ein Scheitern im Bundesrat absehbar ist, schafft dies neue Frustratio­nen.

Kramp-Karrenbaue­rs Kurs findet in der Partei positiven Widerhall. Der Härtetest kommt mit der Europawahl im Mai, vor allem aber im Herbst mit drei Landtagswa­hlen in Ostdeutsch­land. In Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g muss die Union punkten. Andernfall­s könnte sich die CDU doch noch in einen Bruch mit der Ära Merkel treiben lassen – und damit in eine neue Zerreißpro­be.

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