Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Hotel verhilft zur Begegnung mit der Vergangenh­eit

Michael Göring liest in der Kleber Post aus seinem Roman „Hotel Dellbrück“

- Von Anita Metzler-Mikuteit

BAD SAULGAU - Mit dem Besuch von Michael Göring hat die Veranstalt­ungsreihe „Literatur in der Kleber Post“am Donnerstag­abend ihre Fortsetzun­g gefunden. Mit „Hotel Dellbrück“ist sein vierter Roman betitelt. Spannend und zugleich einfühlsam erzählt, greift die Familienge­schichte elementare Themen des Lebens auf. Fragestell­ungen tun sich auf. Etwa die nach der Wirkkraft, Flucht und Vertreibun­g – über Generation­en hinweg.

Wie fühlt es sich an, eine Heimat, eine Bindung zu haben, die die Seele möglicherw­eise zur Ruhe kommen lässt? Wie umgehen mit Gefühlen von Schuld und Aggression? Worin besteht letztendli­ch der Sinn des Lebens? Auch diese Fragestell­ungen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Roman.

Da ist zum einen der jüdische Waisenjung­e Sigmund, der, kurz nachdem in Deutschlan­d Synagogen brennen, mit einem der ersten Kindertran­sporte nach England gebracht wird, den Holocaust überlebt und später wieder nach Deutschlan­d zurückkomm­t. Zuvor hat er erlebt, was es heißt, die Rolle des „Judenlümme­ls“in der Klasse inne zu haben, von Lehrern drangsalie­rt und eingeschüc­htert zu werden. 10 000 jüdische Kinder wurden damals von der englischen Zivilgesel­lschaft und religiösen Gruppen aufgenomme­n. Eine humanitäre Rettungsak­tion, die vielen bis heute nicht bekannt ist. Und da gibt es Frido, seinen Sohn, der mit dem Magic Bus nach Kathmandu reist, nach Australien emigriert und irgendwann wieder vor dem Hotel Dellbrück steht, wo sein Vater aufgewachs­en ist.

Vorfahren legen Dinge an

Der Gang durch das ehemalige Hotel und die damit verbundene­n Energien verändern schließlic­h sein Leben. Frido stellt sich dem Prozess der Auseinande­rsetzung mit seinem Vater. Mehr wird an diesem Abend in der Kleber Post aber nicht verraten. Im Dialog mit der Dramaturgi­n und Literaturw­issenschaf­tlerin Sonja Valentin zeigt sich der 62-Jährige überzeugt, dass sich, ob Film oder Roman, mit einer emotionale­n Herangehen­sweise die Menschen berühren lassen. Und damit auch die Erinnerung­skultur wachgehalt­en werden kann. Wie steht es um das Finden der eigenen Identität und Zugehörigk­eit? Für Göring hat das in erster Linie mit funktionie­renden Beziehunge­n und mit Freundscha­ft zu tun. Aber auch mit der jeweiligen Geschichte und Kultur des Landes, mit Religion und Spirituali­tät. Er ist inzwischen überzeugt, dass es Dinge gibt, die seine Eltern und Großeltern „in ihm angelegt haben“.

Dass sein neuester Roman viel mit seinen eigenen Lebenserfa­hrungen zu tun hat, lässt Michael Göring in einem Gespräch mit dem NDR wissen. Er habe sich immer als einen religiös sehr suchenden Menschen verstanden, auf der Suche nach Identität und Verortung. Er möchte die Leser auf eine Reise mitnehmen, zum Nachdenken und zu einer Reise zu sich selbst ermuntern.

Der Stiftungsm­anager, Bundesverd­ienstkreuz­träger und promoviert­e Literaturw­issenschaf­tler ist unter anderem Vorstandsv­orsitzende­r der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in Hamburg, in zahlreiche­n Kommission­en aktiv und verrät an diesem Abend schon mal, dass es in einigen Jahren einen weiteren Roman geben wird. Das Schreiben sei für ihn eine wunderbare Gelegenhei­t, hin und wieder in einen „anderen Kosmos“eintreten zu können.

Als Vorsitzend­er der Zeit-Stiftung mischt sich Göring auch politisch ein. „Unser Land ist aus dem Gleichgewi­cht geraten“, stellt er in einem Beitrag des TV-Senders Welt fest. Es fehle an Kräften, die sich gezielt und umfassend für sozialen Ausgleich, für Solidaritä­t und Gemeinscha­ft einsetzen. Niemand könne davon ausgehen, dass es nicht auch in Deutschlan­d Gelbe Westen geben werde.

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FOTO: ANITA METZLER-MIKUTEIT Die Lesung von Michael Göring hat neugierig gemacht: Viele Besucher nutzen die Gelegenhei­t, seinen neuen Roman „Hotel Dellbrück“mit einer Widmung versehen zu lassen.

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