Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Stadt verliert unverschuldet mehr als 700 000 Euro
Durch Insolvenzen, Todesfälle und Umzüge kann die Stadt eine Vielzahl an Forderungen nicht mehr eintreiben
WEINGARTEN - Die Stadt Weingarten verzichtet auf knapp 710 000 Euro – allerdings nicht ganz freiwillig. Doch wegen einer Vielzahl an Gründen bleibt beziehungsweise blieb den Stadträten gar nichts anderes übrig, als für den Vorschlag der Stadtverwaltung zu stimmen. Über Jahre hinweg hatten einige Weingartener Bürger Schulden bei der Stadt angehäuft, die sie nicht begleichen können. Einige sind insolvent, andere ins Ausland verzogen und wieder andere verstorben. Zumindest können sie die Schulden nicht mehr begleichen beziehungsweise es gibt keine rechtliche Handhabe für die Stadt, an das Geld zu kommen. „Das gibt es eigentlich ständig“, sagt Weingartens Kämmerer Daniel Gallasch.
Etwas ungewöhnlich ist allerdings, dass der Betrag so hoch ist. Üblicherweise sind es pro Jahr ein paar Tausend Euro – und das bei 7000 Mahnungen pro Jahr, um die sich zwei Vollzeitkräfte kümmern. Doch mit Hinblick auf die Hausumstellung von Kameralistik auf Doppik im laufenden Jahr wurde für die Haushaltsjahre 2017 und 2018 eine Vielzahl an Forderungen – Bußgelder, Mieten, Steuern – zusammengetragen und bewertet, ob noch Geld zu erwarten ist. „Das war eine Aufräumaktion“, erklärt Gallasch. „Wir haben da gesammelt. Das schleppen wir sonst nur mit.“Und so kamen im Jahr 2017 185 000 Euro, im vergangenen Jahr 2018 sogar 525 000 Euro zusammen. Diese Beträge wurden in den jeweiligen Haushalten verbucht und damit auch abgeschrieben. Andernfalls hätte die Stadt weiterhin ein höheres Eigenkapital ausgewiesen, das aber gar nicht da ist.
Im Übrigen ist das Geld für die Stadt in der Theorie noch nicht ganz verloren. Denn die sogenannte Niederschlagung ist eine verwaltungsinterne Maßnahme. Die Stadt verzichtet nicht auf die Forderung. Sie nimmt nur Abstand von der Forderung. Sollte ein Gläubiger irgendwann doch wieder Geld zur Verfügung haben oder greifbar sein, könnte die Stadt versuchen, dieses einzufordern. Doch davon ist eher nicht auszugehen. Schließlich ist ein jeder Fall kompliziert. „Der Klassiker sind Insolvenzen oder wenn Schuldner versterben“, sagt Gallasch. Im ersten Fall geht es meist um nicht bezahlte Gewerbesteuern. „Wenn Insolvenzverfahren abgeschlossen sind, können sie nichts mehr holen“, erklärt Gallasch. Außerdem: „Die Schuldner haben meist auch bei anderen Schulden.“Im zweiten Fall, beim Tod eines Schuldners, hängt es von den Erben ab. Wenn die aber das Erbe ausschlagen, hat die Stadt keine Möglichkeit mehr, an das Geld zu kommen.
Schuldner im Ausland
Richtig kompliziert wird es, wenn die Schuldner ins Ausland verzogen sind. In beinahe allen Fällen kann man dann nicht vollstrecken. Denn die Bundesrepublik Deutschland hat nur mit Österreich ein entsprechendes Abkommen. Mit anderen Ländern ist es schwierig, selbst innerhalb der Europäischen Union. Besonders kompliziert ist es aber mit der Schweiz.
Wobei es sich bei den aktuellen Fällen handelt, darf Gallasch wegen des Steuergeheimnisses nicht verraten. Er darf nicht einmal Hinweise geben, in welche Richtung es geht. Andernfalls könnte er sich strafbar machen. Doch immerhin kann er sagen, dass es sich aktuell um 22 Hauptschuldner dreht, wovon einer mehr als 100 000 Euro ausmacht. Die meisten anderen sind eher „kleinere“Posten, die etwas mehr als 10 000 Euro betragen. Genau das ist auch die Schwelle, an der der Gemeinderat über die Niederschlagung entscheiden muss. Unter 10 000 Euro können Oberbürgermeister und Kämmerei die Beträge niederschlagen.
Besonders schwierig wird es in Grauzonen. Gerade bei kleineren Betrieben überlegt die Stadtverwaltung zweimal, bevor sie nach den Mahnverfahren auch Beitreibungsverfahren und Pfändungen über den Gerichtsvollzieher anwendet. „Das ist gar nicht so einfach, das zu entscheiden. Man hat auch eine soziale Verantwortung. Man muss aufpassen, dass man Firmen nicht kaputt macht“, sagt Gallasch. „Die Stadt ist so groß. Das bringt uns nicht um. Aber einen Handwerksmeister kann das schon umhauen.“