Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Der Staat, der einen schützen soll, ist offenbar nicht in der Lage dazu“
- Nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau herrscht große Bestürzung in Deutschland – vor allem unter Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Migration in der SPD, sagt im Gespräch mit Mathias Pudig, es fehle der Mehrheitsgesellschaft oft an Empathie.
Herr Bozkurt, Sie haben selbst eine Zuwanderungsgeschichte. Fühlen Sie sich nach einer Tat wie dem Anschlag in Hanau unsicherer?
Das löst Unbehagen aus. Wenn man länger darüber nachdenkt, erzeugt das schon ein Unsicherheitsgefühl. Das Vertrauen, dass der Staat am Ende schon richtig handelt, schwindet immer mehr. Das ist gefährlich.
Wie geht es Ihnen jetzt?
Das ist ein Mix aus Gefühlen. Ich spüre sehr viel Wut und eine große Ohnmacht. Der Staat, der einen schützen soll, ist offenbar nicht in der Lage dazu und hat aus den Fehlern der Vergangenheit nicht gelernt.
Was meinen Sie?
Da spielt vieles zusammen. Bei der NSU-Aufklärung liegt vieles gerade in Hessen noch immer im Argen. Akten sind auf Jahrzehnte weggeschlossen worden, und wir haben nicht das Gefühl, dass wirklich aufgeklärt werden soll. Stattdessen wird herumlaviert. Wir wissen doch, dass es mehrere Hundert rechte Gefährder gibt. Und dazu kommt die miserable Berichterstattung. Am Wochenende ist eine Gruppe von zwölf Rechtsextremen ausgehoben worden, und das Echo war wirklich gering. Wären das Islamisten gewesen, hätte es Sondersendungen gegeben. So aber juckt das keinen, weil man theoretisch nicht betroffen ist. Das ist ein extrem bedrückendes Gefühl.
Woran liegt das?
Die Vielfalt, wie sie auf der Straße zu sehen ist, ist in vielen Bereichen der Gesellschaft nicht so präsent. Deshalb fehlt manchmal der Blick. Das haben wir in der Vergangenheit oft erlebt, wenn etwa ein Mensch mit Einwanderungsgeschichte umgebracht wurde und Zeitungen erst Tage später reagiert haben. Der Blick der Medien ist nicht weit genug, solange nicht die Vielfalt präsent ist. Dazu kommt fehlende Empathie. Man ist theoretisch nicht betroffen, deshalb jucken einen solche Nachrichten nicht so sehr.
Dabei kann das nächste Opfer derjenige sein, der anders denkt, und nicht nur der Migrant.
Es fehlt also an Politikern mit Migrationshintergrund?
Das ist ein Teil des Problems, das heißt ja, wir brauchen mehr Politiker, denen das Thema so nahe geht, dass sie es permanent auf dem Schirm haben. Wir brauchen außerdem einen Innenminister, der das Thema Rechtsterror konsequent angeht. Wir warten bislang vergeblich auf einen Masterplan, um das voranzubringen. Da tut sich zu wenig.
Hat sich das gesellschaftliche Klima verschärft?
Auf jeden Fall. Das begann spätestens bei Sarrazin. Seitdem werden Tabus immer weiter nach rechts verschoben. Das ist brandgefährlich. Denn betroffen ist nicht eine kleine Gruppe. Das muss die Gesamtgesellschaft verstehen. Wenn das Klima so vergiftet ist, schadet das allen.