Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Nach der Windkrise droht die Solarkrise

Das Gezerre um den Förderdeck­el für Solarproje­kte treibt die Branche auf die Barrikaden

- Von Andreas Knoch und Igor Steinle

- In der Debatte um den weiteren Ökostromau­sbau warnt der Bundesverb­and Solarenerg­ie (BSW) vor einem Stellenabb­au in der Branche. „Es geht um die künftige Energiever­sorgung, es geht aber auch um Tausende Arbeitsplä­tze“, sagte Hauptgesch­äftsführer Carsten Körnig dieser Zeitung. Körnig geht von 30 000 Beschäftig­ten allein in der Solarbranc­he aus.

Hintergrun­d ist der bald erreichte Förderdeck­el der Regierung für Solarproje­kte. Derzeit ist laut Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG) nur eine Förderung bis zu einer Obergrenze von 52 Gigawatt installier­ter Gesamtleis­tung möglich. Diese könnte bereits im Laufe des Monats März erreicht sein. „Aus der Branche hören wir, dass bereits jetzt erste Projekte aufgrund der Unsicherhe­it nicht mehr umgesetzt werden“, berichtet Körnig. Ihm sind rund ein Dutzend Projekte bekannt, die aufgrund dieser Unsicherhe­it schon jetzt keine Finanzieru­ng durch Banken mehr erhalten. „Noch dieses Frühjahr droht ein faktischer Ausbaustop­p der Photovolta­ikanlagen auf Gebäuden.“

In der Großen Koalition herrscht eigentlich Einigkeit darüber, den Solardecke­l abzuschaff­en. Dieser ist jedoch zur Verhandlun­gsmasse im Streit um pauschale Abstandsre­gelungen von Windkrafta­nlagen zu Wohnsiedlu­ngen geworden. Die Union macht hier eine Zustimmung der SPD für ein Aus des Solardecke­ls zur Bedingung. Die Verhandlun­gen darüber finden momentan vor allem auf Fraktionse­bene statt. „Wir hoffen auf eine zügige Einigung“, sagte eine Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums dieser Zeitung. Minister Peter Altmaier (CDU) äußerte sich zuletzt optimistis­ch, dass eine Einigung bis zu einem Bund-Länder-Treffen Mitte März gelingen werde.

Der Druck auf die Akteure ist groß: Angesichts von Kohle- und Atomaussti­eg müssen Erneuerbar­e Energien einen Anteil von 65 Prozent bis 2030 erreichen. Aufgrund der Unsicherhe­iten im Bereich der Windenergi­e ist der Neubau von Windrädern allerdings nahezu zum Erliegen gekommen. Nun dürfe es nicht auch noch „zu einem fahrlässig herbeigefü­hrten Ausbaustop­p für Photovolta­ik kommen“, warnt auch die Chefin des Bundesverb­ands der Energieund Wasserwirt­schaft (BDEW), Kerstin Andreae.

Ähnlich argumentie­rt auch der Forschungs­verbund Erneuerbar­e Energien (FVEE). Um die Klimaschut­zziele der Bundesregi­erung zu erreichen und den Energiebed­arf in den unterschie­dlichen Sektoren bis 2050 überwiegen­d aus erneuerbar­en Energieträ­gern zu decken, seien bis zu 500 Gigawatt installier­ter Photovolta­ikleistung

nötig, heißt es in einer Stellungna­hme des Verbands, dem eine Reihe namhafter Forschungs­institute, darunter die Fraunhofer Insititute, das Karlsruher Institut für Technologi­e und das Helmholtz Zentrum für Umweltfors­chung angehören.

Auch aus ökonomisch­er Sicht sei eine Deckelung nicht mehr notwendig, so die FVEE-Forscher. Durch das monatliche Absinken der Einspeisev­ergütung werde die Vergütung von neu installier­ten Anlagen ab den 2020er-Jahren die Strompreis­e kaum noch beeinfluss­en. In den vergangene­n zehn Jahren seien die Systemprei­se für schlüsself­ertige Photovolta­ikanlagen um 75 Prozent gesunken. Bei einer Lernrate von 15 Prozent würden die Stromgeste­hungskoste­n ab 2030 für Dachanlage­n unter 4,7 und für Freifläche­nanlagen sogar unter 2,4 Cent pro Kilowattst­unde fallen. Selbst kleine Dachanlage­n, so der FVEE, würden Strom dann günstiger erzeugen als neu errichtete Steinkohle­oder Gas- und Dampf-Kraftwerke.

Christoph Ostermann, Chef des Energieunt­ernehmens Sonnen aus Wildpoldsr­ied im Allgäu, drängt darauf, schnell Rechtssich­erheit für die gesamte Branche zu schaffen. „Ein Engpass im Zubau sind jetzt schon die Kapazitäte­n der Handwerksb­etriebe. Mit einer solchen Unsicherhe­it wie aktuell können es sich kleine Handwerksb­etriebe nicht leisten, Investitio­nen zu tätigen und Personal einzustell­en“, sagt Ostermann. Im schlimmste­n Fall würde der Förderdeck­el erreicht, bevor sich die Koalition auf eine rechtskräf­tige Aufhebung einigt. „Die Folge wäre ein völlig vermeidbar­er Rückschlag für den Zubau der erneuerbar­en Energien und das in einer Zeit, in der immer mehr Haushalte auf selbst erzeugten Solarstrom umsteigen wollen.“

Im Handwerk blickt man zwiespälti­g auf die Verhandlun­gen der Großen Koalition über die Abschaffun­g des Förderdeck­els. „Daraus entstehen freilich Aufträge für die Handwerksb­etriebe“, sagt Tobias Mehlich, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer Ulm. „Aber: Jedes Mal, wenn eine Photovolta­ikanlage verbaut wird, finanziert der Handwerksb­etrieb über die EEGUmlage die Förderung dieser gerade montierten Anlage mit.“

Die meisten Handwerksb­etriebe bezahlten überpropor­tional viel EEG-Umlage, auch aufgrund der Ausnahmere­gelungen der großen Unternehme­n, die subvention­iert werden und allein von günstigen Strompreis­en an der Strombörse profitiert­en. Diese Lastenvert­eilung sei einseitig, so Mehlich, und beschädige die Wirtschaft­sleistung der Handwerksb­etriebe in der Fläche. „Wir wünschen uns, dass die Finanzieru­ngsstruktu­r endlich angepasst wird. Die EEG-Umlage muss weg, wenn die CO2-Bepreisung da ist.“

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