Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Gefährte Wolf und Bestie Mensch
Die Ausstellung „Wald. Wolf. Wildnis“im Museum Villa Rot bietet ein faszinierendes Spektrum an unterschiedlichen Blickwinkeln
- Wald, Wolf, Wildnis – ein Assoziationstrio, das nicht nur durch seine Alliteration besticht. Der Titel der neuen Ausstellung im Museum Villa Rot eröffnet ein riesiges Spektrum von Fragen an die zeitgenössische Gesellschaft: unsere Einstellung zur Natur, die tagtäglich mehr aus dem Blickfeld verschwindet, unsere Phobie vor Wildtieren wie dem Wolf, unsere sehr deutsche Idealisierung des Waldes. Oder die Scheu vor einer Wildnis, die, wenn man es nüchtern besieht, kaum noch vorhanden ist, wenn man darunter nicht die unaufgeräumten, sich selbst und dem Borkenkäfer überlassenen Naturwälder versteht.
Neben Museumsleiter Marco Hompes hat die Malerin Gisela Krohn diese Ausstellung mitinitiiert und kuratiert. In das Museum Villa Rot, das sich als eine Art Thinktank zu Fragen der Zeit begreift, und seine ländliche Umgebung passt dieses Thema wie gemacht – und wirft doch mehr Fragen auf, als es Antworten geben kann.
Gisela Krohn, die sich schon seit Jahren mit dem Thema Wolf auseinandergesetzt hat und international gut vernetzt ist, nimmt auch als eine der 22 Künstlerinnen und Künstler aus fast ebenso vielen Ländern teil, darunter auch Designerinnen und ein Softwareentwickler. Rund 100 Werke – vom ausgemusterten Hochsitz des Amerikaners Mark Dion bis zu wandhohen Ölgemälden des Mongolen Nashun Nashunbatu und Tierminiaturen von Astrid Köhler – beschäftigen sich mit den drei Themen.
Die Scheu des Wildtiers, das man in der Natur fast nie zu Gesicht bekommt, erfasst Stephan Reusse in Infrarot-Fotografien von Wärmebildkameras. Es ist ein ebenso märchenhafter Moment wie er in Miriam Vlamings großer Leinwand „Die Zentrale“in Eitempera-Technik zum Ausdruck kommt. Hier glüht ein Wald in der Abendsonne – oder einem Feuer? Man hat noch die Bilder aus Australien vor Augen. Daneben ertönt Wolfsgesang: Ein Video von Jonas Brinker zeigt einen FilmWolf, erst heulend, dann schlafend in einem Studio, dressiert zur Vermarktung einer vorgeblichen Wildnis.
Während Gisela Krohn ihren großformatigen Waldszenen mit verdünnter Ölfarbe eine schimmernde Transparenz verleiht, formen Małgosia Jankowskas Tuschaquarelle den Wald als Traumort. Dagegen entwirft der Mongole Nashun Nashunbatu in seinen Riesenformaten in Öl unwirklich grandiose Landschaften und setzt surreale Szenen hinein. Den Wald verrätseln auch die Fotografien von Jarek Lustych. Vom Wolf und der Wildheit handeln die weiteren Räume: Von unmittelbarer Präsenz sind Irmela Maiers Wolfsköpfe, mal mit fletschendem Gebiss oder als Mutterszene mit Welpen, mitten im Raum ein stehender Wolf aus Abfallmaterial und Ton; ebenso taktil faszinierend erscheinen die Wolfsgemälde von Isabelle Dutoit.
Wie anders dagegen das wolfsähnliche Wesen aus Staub der Pariser
Métro von Lionel Sabatté oder auch Objekte wie der Wolf auf einem Bügelbrett von Tanja Fender. Abgründiges wie das Video „Hybris“von Jana Francke und einigen Objekten zum Thema Qualzuchten bei Hunden, Wolfsknochen von Babette Boucher oder eine Serie von Zeichnungen zum Thema „Frau und Wolf “von Barbara Quandt lösen eher Befremden aus. Sie regen zum Nachdenken über den realen oder mentalen Missbrauch des Tiers durch den Menschen an. Mythologisch ironisch wirkt dagegen eine Porzellanskulptur von Kiki Smith, ein mit einer nackten Frau verschmelzender Löwe.
Zur geistigen und seelischen Klärung sehe man sich zum Schluss ein Video mit dem Wildbiologen Ulrich Wotschikowsky (1940-2019) an, das Gisela Krohn aufzeichnete. Darin fällt das skeptische Statement dieses unermüdlichen Streiters für die Rechte der Wildtiere: „Die Ökosysteme entziehen sich dem menschlichen Verständnis“, das heißt, sie übersteigen unseren Verstand in ihrer unüberschaubaren Verflechtung. Dies entbinde jedoch nicht von unserer Verantwortung. Die Ausstellung wird weiterwandern, bisher sind Bitburg und Berlin geplant. Ein umfangreiches Begleitprogramm und eine Preview für Kinder nebst einem Entdeckerheft macht den Besuch auch für Familien lohnend.
Die Ausstellung „Wald. Wolf. Wildnis.“ist bis 3. Mai, geöffnet. Mi. - Sa. 14-17 Uhr, So. und feiertags 11-17 Uhr, www.villa-rot.de