Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Stinkende Gäste am Pier 39

Seit 30 Jahren sind die Seelöwen in San Francisco willkommen und locken Millionen Schaulusti­ge an – Das Jubiläum wird groß gefeiert

- Von Barbara Munker

(dpa) - Sie machen Krach, stinken und übergeben sich – und sind dennoch gern gesehen. Sogar eine Jubiläumsf­eier hat San Francisco seinen beliebten und beleibten Dauergäste­n an einem kalten Wochenende im Januar ausgericht­et. Im Januar 1990, vor genau 30 Jahren, hatten gerade die ersten Seelöwen einen Bootssteg im Hafen der Westküsten­stadt erobert. Der Spitzname des ersten lautete „Flea Collar“, also FlohHalsba­nd, wegen einer Fischerlei­ne, die sich um seinen Hals gewickelt hatte.

„Wir sind ihm ewig dankbar, dass er damals auf ein Dock kletterte, aus welchen Gründen auch immer“, erklärt Hafenmeist­erin Sheila Chandor. „Andere folgten ihm, wie ein Dominoeffe­kt, doch niemand glaubte, dass sie sich 30 Jahre später hier immer noch breit machen würden.“

Chandor war damals am Pier 39, im Hafen der Fisherman's Wharf, für Boote zuständig. „Meeressäug­erbetreuun­g stand nicht in meinem Vertrag“, sagt die rothaarige Hafenmeist­erin lachend. Jetzt sieht sie sich längst als Sprecherin der Seelöwen. „Sie sind unsere größte Touristena­ttraktion“.

Vergnüglic­he Show

Nur ein paar Meter vor den Augen Hunderter Schaulusti­ger ziehen die bis zu 400 Kilo schweren Tiere ihre vergnüglic­he Show ab. Auf schwimmend­en Holzdecks tanken sie Sonne, kämpfen brüllend um die besten Plätze, wälzen sich übereinand­er hinweg und stoßen sich mitunter gegenseiti­g von den Stegen. Den Gestank alter Fischreste nimmt man gerne in Kauf.

„Die Seelöwen gehören in San Francisco einfach zum Programm“, begeistert sich Christina Malik. „Zu süß, wenn sie sich necken und streiten, das ist einfach lustig anzusehen“, meint die Urlauberin aus dem Raum Stuttgart, die mit Freundinne­n Kalifornie­n bereist. „Überwältig­end, statt im Zoo einfach so in der freien Natur“, pflichtet Lucie Laas bei.

Es hätte auch ganz anders kommen können. San Francisco erholte sich gerade von den Folgen des schweren Erdbebens im Oktober 1989, als sich die Seelöwen im Hafenbecke­n buchstäbli­ch breit machten.

Die Zahl wuchs schnell auf mehrere Hundert Tiere an. Bootseigen­tümer regten sich über den Lärm und den Gestank auf. Die Stege waren nicht mehr zugänglich.

„Es gab völlig verrückte Vorschläge, um sie loszuwerde­n“, erinnert sich Hafenmeist­erin Chandor. Die Piers mit Glasstücke­n auslegen, Elektrosch­ockanlagen installier­en, sogar eine ferngesteu­erte Hai-Attrappe,

um die Tiere abzuschrec­ken, war im Gespräch. Doch die ungebetene­n Gäste wurden schnell zur kostenlose­n Attraktion. Geschäfte und Restaurant­s auf dem Ausflugspi­er freuten sich über jeden Besucher.

Statt der Seelöwen wurden die Boote umquartier­t, die Holzstege verstärkt, weitere Docks kamen im Laufe der Jahre hinzu. Helfer patrouilli­eren im Boot im Hafenbecke­n,

Stege müssen repariert und alle paar Wochen mit einem starken Wasserstra­hl gesäubert werden. Für kranke oder verletzte Tiere rufen die Pier-Betreiber das Marine Mammal Center, eine Klinik für Meeressäug­er, zu Hilfe. Ein Seelöwe mit einer Schusswund­e direkt durchs Auge sei kürzlich erfolgreic­h behandelt und wieder im Meer ausgesetzt worden, erzählt Chandor.

Nur wenige Orte entlang der kalifornis­chen Küste bereiten Seelöwen einen netten Empfang. Für Fischer sind sie verhasste Konkurrent­en, die Fische aus den Netzen stehlen. Mit ihren massigen Körpern beschädige­n sie Stege und Boote. Doch der Abschrecku­ng sind Grenzen gesetzt. Kalifornis­che Seelöwen stehen unter Schutz und dürfen per Gesetz nicht gewaltsam vertrieben werden.

Angriffe auf Badende im Wasser sind selten. „Sie gehen Menschen aus dem Weg, und das ist gut so, denn es sind wilde Tiere, die beißen können“, erklärt Chandor. Umgekehrt ist das anders. „Wir haben mit ihnen schon äußerst verrückte Dinge erlebt. Ein Besucher sprang auf ein Dock und musste von uns gerettet werden. Ein anderer wollte ihnen Hundefutte­r geben.“

Die Zahl der Tiere am Pier schwankt mit der Verfügbark­eit von Futter. Sind die Fischbestä­nde in der Bucht der Westküsten­stadt gering, folgen die Seelöwen größeren Fischschwä­rmen entlang der Pazifikküs­te.

So drängte sich im Herbst 2009 eine Rekordzahl von 1700 Tieren Flosse an Flosse auf den Docks, im Winter waren die meisten wieder weg. 2014 tauchten die Meeressäug­er auf einen Schlag alle ab, kehrten aber zur Freude der Pier-Betreiber schnell wieder zurück.

Kein Wunder, verglichen mit den rauen Felsen vor der Küste bietet der Stammplatz im Hafenbecke­n vor Feinden wie Haifischen und Orcas Schutz. Die Docks sinken und steigen mit Ebbe und Flut, die Sonnenanbe­ter können sich bequem im Trockenen aalen.

Zum 30. Jubiläum war es allerdings ungewöhnli­ch ruhig, nur etwa hundert Meeressäug­er haben die schwimmend­en Pontons in Beschlag genommen. Die Betreiber halfen mit künstliche­n Seelöwen nach. Künstler haben 30 lebensgroß­e Statuen bunt angemalt, die ein Jahr lang in San Francisco aufgestell­t werden. Zudem bot das Pier-Aquarium Führungen mit Experten an.

Nicht alle Fragen der langlebige­n Hafenbeset­zung sind restlos geklärt, doch der deutschen Urlauberin Christina Malik ist das egal. „Die Hintergrün­de wissen wir nicht ganz genau. Aber ich denke, denen gefällt es einfach, sonst wären sie nicht schon 30 Jahre hier.“

„Wir haben mit ihnen schon äußerst verrückte Dinge erlebt.“

Sheila Chandor, Hafenmeist­erin

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FOTOS: BARBARA MUNKER/DPA Lässig, cool, und seit vielen Jahren eine Attraktion : Die Seelöwen auf den Pontons am Fisherman’s Wharf.
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Vom Boot aus werden die Pontons überprüft. Sheila Chandor (re.) ist Hafenmeist­erin und hat mit den Seelöwen gut zu tun.
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