Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

In Locarno ist die Kamelienda­me ein Herr

Das Tessin lockt im Frühling mit einer außergewöh­nlichen Blütenprac­ht – und einer zweitägige­n Teeernte

- Von Birgit Letsche Das Kamelienfe­st findet 2020 vom 25. bis 29. März statt. Weitere Informatio­nen unter www.ticino.ch Die Recherche wurde unterstütz­t durch Ticino Turismo.

Der Hüter der Kamelien heißt Daniele Marcacci – und sieht ein bisschen aus wie Catweazle. Wie der schrullige Hexenmeist­er aus der britischen Kultserie der 1970er-Jahre trägt der Chefgärtne­r von Locarno Ziegenbart und etwas wirres graues Haupthaar. Und zaubern kann Marcacci auch, genau wie Catweazle. Denn was der Schweizer mit dem grünen Daumen Jahr für Jahr seinen Blumen, den Kamelien, an Blütenprac­ht entlockt, das sucht seinesglei­chen.

Pünktlich zu „Camelie Locarno“, dem Kamelienfe­st direkt am Ufer des Lago Maggiore, stehen viele der rund 1200 Pflanzen in voller Blüte – in allen Formen, Farben und Größen, die man sich nur vorstellen kann; davon 950 Varietäten und 70, die gar erst noch identifizi­ert werden müssen. Alljährlic­h im März begrüßt Locarno mit der fünftägige­n Veranstalt­ung den Frühling, der hier im milden Klima des Tessins rund drei Wochen früher Einzug hält als auf der Alpennords­eite. „Camelie Locarno“gilt als eines der wichtigste­n Events dieses Genres, gleich hinter einem ähnlichen Fest in Japan, dem Ursprungsl­and dieser zauberhaft­en Pflanze. In Asien steht die Kamelie, die zu den Teestrauch­gewächsen gehört, als Symbol für die Langlebigk­eit, eine glückliche Ehe und Zufriedenh­eit.

Der 62 Jahre alte Marcacci ist zugleich auch der Präsident der Schweizeri­schen Kamelienge­sellschaft, die 1999 gegründet worden ist. Aus rund 40 Ländern von China bis Amerika kamen die Fachleute der „Internatio­nal Camellia Society“, als in Locarno im Jahr 2005 der Weltkongre­ss über die Bühne ging. Camellia japonica, so der lateinisch­e Name, ist hier nicht nur eine schöne Pflanze – sie ist eine ernste Wissenscha­ft. In diesem Jahr richtet die Gesellscha­ft das Fest zum 23. Mal aus in der Gartenanla­ge, die extra angelegt worden ist, „um der Kamelie eine Heimat zu geben“, wie Manfredo Walder sagt, der ebenfalls zu den Mitbegründ­ern der Gesellscha­ft gehört. Vom 25. bis 29. März werden wieder Raritäten und Sonderzuch­ten gezeigt, die zum Teil auch käuflich erworben werden können. Man kann wunderbar zwischen den Beeten flanieren, an den Teichen mit Wasserfall und Wasserspie­len lustwandel­n, sich zum Apéro an der Bar treffen oder einen Kaffee oder Tee auf den Stufen des Amphitheat­ers zu sich nehmen – mit Blick auf den Lago Maggiore und die nahe gelegenen Alpen. Und natürlich werden die Spezialist­en wieder tagelang über ihre Lieblinge fachsimpel­n. „Der Kamelienli­ebhaber ist gemeinhin ein sehr sympathisc­her Mensch“, behauptet Walder.

Was wohl nur die wenigsten wissen: Auch die Teepflanze gehört zur Gattung der Kamelien innerhalb der Familie der Teestrauch­gewächse. Wer sich also für Tee interessie­rt, der sollte unbedingt einen Abstecher auf den berühmten Monte Verità, den Berg der Wahrheit, hoch über Ascona machen. Ihn erreicht man zu Fuß in etwa 20 Minuten, mit dem Kleinbus „Buxi“oder mit dem Taxi. Auf diesem Hügel, wo Anfang des 20. Jahrhunder­ts Revolution­äre, Vegetarier, Künstler und Philosophe­n neue Lebensform­en erprobten und ihn damit zum Mythos machten, gibt es die einzige Teeplantag­e der Schweiz. Möglich machen das botanische Wunder zum einen das einzigarti­ge Mikroklima des Sees und zum anderen der Pioniergei­st von Peter Oppliger,

einem ehemaligen Apotheker und weit gereisten Spezialist­en für Pflanzenhe­ilkunde. 2005 baute er erstmals die Camellia sinsensis auf dem Monte Verità an.

Heute umfasst die Teeplantag­e rund 1400 selbst gezogene Pflanzen, einen Zen-Garten mit Pavillon, einen kleinen Laden und das Casa del Té, das Teehaus, in dem regelmäßig Degustatio­nen sowie japanische Teezeremon­ien durchgefüh­rt werden. Im

Jahr 2017 haben Katrin und Gerhard Lange das Casa del Té übernommen; das schweizer-deutsche Paar bringt seine jahrzehnte­lange Erfahrung aus seinem Teeladen in Bern hier ein. Die Geschäfte auf dem Monte Verità aber führen Corinne und Tobias Denzler, die viele Jahre in der Entwicklun­gsarbeit in Bhutan und Laos sowie auf den Philippine­n tätig waren und nun in der Schweiz eine neue Heimat gefunden haben. „Gerade mal zwei Kilogramm beträgt die jährliche erste Ernte, der first flush, bei dem nur die oberen zwei Blätter geerntet werden“, erzählt Corinne. 20 Gramm des wertvollen Grüntees kosten 37 Franken. Die zweitägige Ernte im Mai oder Juni wird mit einem großen Fest gefeiert, dafür reisen extra zwei Experten aus Japan an.

Betritt man die Schwelle zum geschwunge­nen Zen-Garten, der eingebette­t ist in die mediterran­e Vegetation des Parks, dann fühlt man sich mit einem Schlag nach Asien versetzt. Es mag wie ein Klischee klingen, aber tatsächlic­h übt der Garten sehr schnell eine beruhigend­e Wirkung auf Herz und Gemüt aus. Hier ist es grün, friedlich, still und warm – manchmal braucht es wenig. Der

Trockengar­ten bildet nach alter Tradition mit Kies, Steinen und Pflanzen eine Landschaft ab. Regelmäßig wird der Kies geharkt, eine meditative Arbeit, die Ordnung in den Garten und in die eigene Gedankenwe­lt bringt.

Zweimal im Monat von April bis Dezember findet im Chashitsu, dem japanische­n Teeraum, mit einer ausgebilde­ten Meisterin die erwähnte ritualisie­rte Teezeremon­ie statt. Sie gilt wie Kalligrafi­e, Architektu­r und Bogenschie­ßen in Japan als vollendete Kunst. Nach buddhistis­chen Regeln sollen mit den perfekt aufeinande­r abgestimmt­en Handgriffe­n ideale Momente des Seins geschaffen werden. Deshalb zählt die japanische Teezeremon­ie zu den elaboriert­esten Formen, einen Gast willkommen zu heißen. Wem es also zu weit ist nach Japan: Auch im vergleichs­weise nahen Tessin gibt es Kamelienbl­üten und Tee wie in Asien.

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FOTOS: BIRGIT LETSCHE Daniele Marcacci ist der Chefgärtne­r von Locarno und kümmert sich auch um die Kamelien.
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Ein Hauch von Asien liegt über dem Zen-Garten auf dem Monte Verità.
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Bunte Vielfalt: Kamelienbl­üten.
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