Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Chauvis allerorten
In der letzten Glosse haben wir uns mit dem Fremdwort Quarantäne beschäftigt, das aus Frankreich zu uns kam. Um einen ähnlichen Fall geht es auch heute – allerdings mit einem kleinen Umweg über die USA.
Seit gestern Abend laufen die Berliner Filmfestspiele, aber noch immer diskutiert man in der Branche die Oscar-Verleihung von voriger Woche, die – wie gewohnt – geprägt war von fast absoluter Männerdominanz. So war auch sofort wieder vom anscheinend unausrottbaren male chauvinism (männlicher Chauvinismus) die Rede, wie der Kampfbegriff der Frauenbewegung gegen den Alleinvertretungsanspruch der Männerwelt aus den 1970ern noch immer lautet.
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Dieser Fachausdruck ist ein beredtes Beispiel für eine Bedeutungserweiterung. Denn unter Chauvinismus – von französisch chauvinisme – verstehen wir zunächst einmal einen aggressiven Nationalismus. Wer allerdings glaubt, das Wort habe etwas mit französisch chauve (kahl) zu tun, liegt falsch – so sehr sich diese Herleitung beim Gedanken an irgendwelche dumpfen Glatzköpfe bei rechtsradikalen Aufmärschen aufdrängt. Am Anfang steht vielmehr eine Legende aus der Zeit der napoleonischen Kriege. Damals soll es – historisch nicht gesichert – einen Soldaten namens Nicolas Chauvin gegeben haben, der zwar etliche Male verwundet und gar verstümmelt wurde, aber mit glühendem Patriotismus weiter für seinen Kaiser kämpfte. Als die Begeisterung der Franzosen für Napoleon nach 1815 wich, fand man auch den übereifrigen Helden Chauvin nicht mehr unbedingt bewunderungswürdig, und er wurde zur Spottfigur im Kabarett. Chauvinisme aber galt fortan als Fachausdruck für einen übertriebenen Nationalismus.
Aus der historischen Diskussion der letzten beiden Jahrhunderte ist dieser Terminus nicht wegzudenken – ob es um den Wettstreit der Nationalstaaten untereinander ging, um übersteigerte nationalistische Propaganda, um Erbfeindschaft, Wirtschaftskrieg, Fremdenhass, Rassismus etc. Aber auch auf anderen Gebieten war von Chauvinismus die Rede. Als Sozialchauvinismus brandmarkte Lenin den Patriotismus von Sozialdemokraten zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Von religiösem Chauvinismus spricht man, wenn es um den Überlegenheitsanspruch einer Glaubensrichtung geht. Als Sprachchauvinismus gilt die Geringschätzung anderer Sprachen im Gegensatz zur eigenen. Und dann gibt es eben noch die besagte Klage über den männlichen Chauvinismus, die natürlich in Verbindung zu sehen ist mit der seit einigen Jahren vehement geführten Debatte rund um die Gendergerechtigkeit – ob in der Sprache oder ganz allgemein.
Verwundert es da, wenn man unwillkürlich an den gestrigen Donnerstag denkt, an die Weiberfastnacht? Laut Brauchtumsforschung war es schon im Mittelalter Sitte, dass den ansonsten gnadenlos unterjochten Frauen zur Fastnachtszeit die symbolische Übernahme der Macht zugestanden wurde – allerdings nur für einen Tag. Bei diesem einen Tag blieb es. Und da dürfen sie heutzutage den Männern die Krawatten abschneiden. Das wird gestandenen Feministinnen allerdings kaum reichen.