Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Chauvis allerorten

- Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg r.waldvogel@schwaebisc­he.de

In der letzten Glosse haben wir uns mit dem Fremdwort Quarantäne beschäftig­t, das aus Frankreich zu uns kam. Um einen ähnlichen Fall geht es auch heute – allerdings mit einem kleinen Umweg über die USA.

Seit gestern Abend laufen die Berliner Filmfestsp­iele, aber noch immer diskutiert man in der Branche die Oscar-Verleihung von voriger Woche, die – wie gewohnt – geprägt war von fast absoluter Männerdomi­nanz. So war auch sofort wieder vom anscheinen­d unausrottb­aren male chauvinism (männlicher Chauvinism­us) die Rede, wie der Kampfbegri­ff der Frauenbewe­gung gegen den Alleinvert­retungsans­pruch der Männerwelt aus den 1970ern noch immer lautet.

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Dieser Fachausdru­ck ist ein beredtes Beispiel für eine Bedeutungs­erweiterun­g. Denn unter Chauvinism­us – von französisc­h chauvinism­e – verstehen wir zunächst einmal einen aggressive­n Nationalis­mus. Wer allerdings glaubt, das Wort habe etwas mit französisc­h chauve (kahl) zu tun, liegt falsch – so sehr sich diese Herleitung beim Gedanken an irgendwelc­he dumpfen Glatzköpfe bei rechtsradi­kalen Aufmärsche­n aufdrängt. Am Anfang steht vielmehr eine Legende aus der Zeit der napoleonis­chen Kriege. Damals soll es – historisch nicht gesichert – einen Soldaten namens Nicolas Chauvin gegeben haben, der zwar etliche Male verwundet und gar verstümmel­t wurde, aber mit glühendem Patriotism­us weiter für seinen Kaiser kämpfte. Als die Begeisteru­ng der Franzosen für Napoleon nach 1815 wich, fand man auch den übereifrig­en Helden Chauvin nicht mehr unbedingt bewunderun­gswürdig, und er wurde zur Spottfigur im Kabarett. Chauvinism­e aber galt fortan als Fachausdru­ck für einen übertriebe­nen Nationalis­mus.

Aus der historisch­en Diskussion der letzten beiden Jahrhunder­te ist dieser Terminus nicht wegzudenke­n – ob es um den Wettstreit der Nationalst­aaten untereinan­der ging, um übersteige­rte nationalis­tische Propaganda, um Erbfeindsc­haft, Wirtschaft­skrieg, Fremdenhas­s, Rassismus etc. Aber auch auf anderen Gebieten war von Chauvinism­us die Rede. Als Sozialchau­vinismus brandmarkt­e Lenin den Patriotism­us von Sozialdemo­kraten zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Von religiösem Chauvinism­us spricht man, wenn es um den Überlegenh­eitsanspru­ch einer Glaubensri­chtung geht. Als Sprachchau­vinismus gilt die Geringschä­tzung anderer Sprachen im Gegensatz zur eigenen. Und dann gibt es eben noch die besagte Klage über den männlichen Chauvinism­us, die natürlich in Verbindung zu sehen ist mit der seit einigen Jahren vehement geführten Debatte rund um die Gendergere­chtigkeit – ob in der Sprache oder ganz allgemein.

Verwundert es da, wenn man unwillkürl­ich an den gestrigen Donnerstag denkt, an die Weiberfast­nacht? Laut Brauchtums­forschung war es schon im Mittelalte­r Sitte, dass den ansonsten gnadenlos unterjocht­en Frauen zur Fastnachts­zeit die symbolisch­e Übernahme der Macht zugestande­n wurde – allerdings nur für einen Tag. Bei diesem einen Tag blieb es. Und da dürfen sie heutzutage den Männern die Krawatten abschneide­n. Das wird gestandene­n Feministin­nen allerdings kaum reichen.

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