Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Eine Straße der vergessenen Kunst
Der Sigmaringendorfer Rat sucht in der Kreisgalerie nach „seinem Künstler“Anton Hiller
- Einer der bedeutensten Bildhauer des 20. Jahrhunderts ist in Sigmaringendorf aufgewachsen, doch jede Spur von ihm ist dort verschwunden, und mit ihr auch die Erinnerung. Diese Erinnerung hat sechs Gemeinderäte aus Sigmaringendorf, ihren Bürgermeister Philip Schwaiger und die Hauptamtsleiterin Eva-Maria Will nach Meßkirch bewegt, wo sie am frühen Abend in winterliche Kälte vor dem Eingang der Kreisgalerie am Schloss warten. „Wir wollen mehr erfahren als wir schon wissen“, sagt Johann Speh. Die Räte informieren sich an diesem Abend aber nicht über Kunst – ihnen geht es um ihren Künstler: Anton Hiller.
Was die Gemeinderäte schon wissen, haben sie schnell zusammengefasst. „Er ist ein Kind Sigmaringendorfs“, sagt Andreas Lang und gibt zu, sich mal über Google informiert zu haben. „Anton Hiller hat im früheren Antiquitätenhaus gelebt, wo lange eine Platte in der Wand an ihn erinnert hat. Mittlerweile ist sie weg, weil das Haus renoviert werden sollte“, fügt Speh an. Genau das ist über einige Umwege der Grund des Ausflugs nach Meßkirch.
Als es in der Dezembersitzung des Gemeinderats darum ging, die
Ringstraße im geplanten Baugebiet Laizer Öschle II zu benennen, kamen mehrere Künstlernamen ins Gespräch. Einer von ihnen: Anton Hiller. Wegen seines Bezugs zum Dorf fiel die Entscheidung letztlich auch auf die Anton-Hiller-Straße, um die Erinnerung an den Künstler zu bewahren, jetzt, da die Platte nicht mehr da ist. Den Artikel in der SZ über die Sitzung und diese Entscheidung entdeckte Kreisarchivar Edwin Ernst Weber, bemerkte die Unwissenheit der Räte und wollte das ändern. Denn in der Kreisgalerie ist ein ganzer Abschnitt der Ausstellung Hiller gewidmet.
So erzählt er es an diesem Abend, als er die Gemeinderäte, den Bürgermeister und die Hauptamtsleiterin in die noch dunkle Kreisgalerie begleitet. Das Neonlicht flackert einige Male, bevor es anspringt und den Blick auf diverse Kunstwerke freigibt. Weber bittet seine Gäste, ihm um mehrere Ecken zu folgen, bis alle in einem Raum voller Zeichungen und Skulpturen stehen. Hier hat ein Teil von Hillers Arbeiten ein Zuhause gefunden – laut Weber die einzige Ausstellung, die Hillers Arbeit zeigt und ehrt. Interessiert wandern die Augen der Gemeinderäte über die Kunstwerke. Der eine bleibt vor dem Lebenslauf stehen, der andere sieht sich die Skulpturen genauer an.
Dann bittet Weber alle zusammen. „Anton Hiller ist 1893 als uneheliches Kind in München geboren, das war für die Familie schwierig“, fängt er an.
Als Konsequenz schickte ihn seine Mutter zu den Großeltern nach Sigmaringendorf, wo Hiller aufwuchs und auch seine Lehre absolvierte. Obwohl Hiller immer wieder seine Mutter in München und dort auch später die Akademie besuchte, sei eine Verbindung zu dem kleinen Ort entstanden, die bis zu seinem Tod nie wieder abriss, erläutert Weber – auch nicht, als er nach dem Zweiten Weltkrieg eine Professur an der Akademie in München annahm und dort blieb. „Er hat regelmäßig Heimaturlaub gemacht“, sagt Weber schmunzelnd. Das zeigt sich auch an so manchem Überbleibsel. So hat Hiller Entwürfe für das Wappen in Sigmaringendorf gezeichnet, weil er von der Gemeinde einbezogen wurde. Auch als seine Mutter starb und in Sigmaringendorf beerdigt wurde, habe er für sie eine Grabplastik entworfen, die allerdings im damals sehr konservativen Ort für viel Aufruhr sorgte und wieder entfernt wurde.
Hillers Arbeiten, so Weber, drehten sich hauptsächlich um Menschen und Pferde: „Das hat ihn interessiert.“Über die Jahrzehnte, bis er die Kunst aufgrund seines Alters aufgab, wurden die Werke aber immer abstrakter, meint Weber und deutet auf zwei Skulpturen. Zeichnet die eine noch ganz klar die Linien eines Pferds nach, wirkt die nächste, die zwei Meter weiter steht, kantig. Das Pferd lässt sich nur noch erahnen. „Er arbeitete sehr figurativ, da war er ganz groß“, schwärmt der Kreisarchivar.
Um die 100 Arbeiten von Hiller besitze der Landkreis, sagt Weber. Die drei Kinder des Künstlers hätten auch längst die Kreisgalerie besucht, um die Werke ihres Vaters anzusehen. Doch auch das letzte von ihnen sei mit beinahe 100 Jahren erst kürzlich gestorben, sagt Weber: „Mit der nächsten Generation haben wir keinen Kontakt mehr.“Einen Bezug zu Sigmaringendorf gebe es aber noch: Egon Fischer. Er sei Webers Ansprechpartner im Ort, was Anton Hiller betrifft. Darüber hinaus verblassten die Erinnerungen immer weiter. „Ich habe ein wenig gestutzt nach dem Artikel, weil aus der damaligen Zeit niemand mehr in Ihrem Gremium ist, aber ich habe gemerkt, dass ich der nächsten Generation beim Erinnern helfen kann“, sagt Weber zum Abschluss. Und selbst wenn diese Erinnerung auch verblasst: Die Anton-Hiller-Straße im Laizer Öschle II wird sie, sobald das Baugebiet erschlossen ist, erhalten.