Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ethikrat hält Diskussion über Lockerungen für richtig
Gremium sieht wirtschaftliche Folgen und Solidaritätskonflikte – Mehr Aufmerksamkeit für Pflege
(epd) - Der Deutsche Ethikrat hat die Politik aufgefordert, sich der Debatte über ein Ende der derzeitigen Pandemie-Einschränkungen nicht zu verweigern. Diese Debatte könne und solle von allen, auch von der Politik, als Ausdruck der offenen Gesellschaft begrüßt werden, sagte der Vorsitzende des Ethikrats, Peter Dabrock, am Dienstag in Berlin. Die gegenwärtige Kommunikationsstrategie vieler politisch Verantwortlicher zu möglichen Lockerungen sei „verbesserungsbedürftig“, ergänzte der Theologe.
Dabrock betonte, es sei derzeit noch zu früh für Lockerungen, „aber es ist nie zu früh für eine öffentliche Diskussion über Öffnungsperspektiven“. Alles andere wäre „obrigkeitsstaatliches Denken“. Wenn Menschen in einem bewundernswerten Maß Solidarität zeigten und teils sehr drastische Freiheitseinschränkungen recht klaglos in Kauf nehmen würden, dürfe man ihnen nicht das Recht absprechen, darüber nachzudenken, zu hinterfragen, „ja auch zu klagen“, sagte Dabrock.
Der Ethikratsvorsitzende forderte, dabei nicht primär über den Zeitpunkt zu debattieren, sondern Notwendigkeiten zu definieren. Die sachlichen und sozialen Kriterien würden derzeit hintangestellt, sagte Dabrock.
Der Ethikrat hatte in der vorvergangenen Woche eine Stellungnahme
zur Corona-Krise veröffentlicht, in der er unter anderem ein Szenario für den Ausstieg aus den derzeitigen Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie anmahnt. Dabrock sagte, schon jetzt zeigten sich neben den wirtschaftlichen Folgen Solidaritätskonflikte. Die Opfer des Lockdowns dürften nicht aus dem Blick geraten. Dazu zählte er etwa Menschen, deren Operationen derzeit verschoben werden sowie psychisch oder suchtkranke Menschen, deren Therapien derzeit unterbrochen sind. Mehr Aufmerksamkeit forderte er auch für den Bereich der Pflege, wo Besuche und Therapien derzeit auch ausgeschlossen sind.
Zur Diskussion über die Möglichkeit, Risikogruppen weiter zu isolieren, anderen aber wieder mehr Freiheit zu geben, sagte Dabrock, das sei eher mittel- bis langfristig eine Option, die aber gesellschaftlich debattiert werden müsse. Der Jurist und Ethikratsmitglied Steffen Augsberg sagte, es sei zu kurz gegriffen, dies allein als Generationenkonflikt zu sehen. Auch unter Jüngeren gebe es Risikopatienten.
Ein zweites Thema für den Ethikrat ist die sogenannte Triage, die Auswahl von Patienten bei zu knappen Ressourcen, etwa Beatmungsgeräten. Das Gremium selbst definiert keine Kriterien und warnt auch den Staat davor, Regeln dafür zu entwickeln. Die Ethik-Experten verwiesen in ihrer Stellungnahme auf die Verantwortung der medizinischen Fachleute.
An den Empfehlungen der Fachleute gibt es aber auch Kritik, etwa von der „Liga Selbstvertretung“, einem Zusammenschluss von Behindertenorganisationen. Sie befürchten, dass bei einer Auswahl nach Gebrechlichkeitsanzeichen Behinderte von vornherein ausgeschlossen würden und fordern den Bundestag zum Handeln auf. Das sei menschenrechtlich problematisch, argumentiert der Verband.
Augsberg räumte ein, dass es bei den Empfehlungen der Fachgesellschaften Klärungsbedarf gebe. „Wir wollen keine pauschale Ausgrenzung“, betonte er. Wenn ein Gebrechlichkeitsindex dazu führe, dass Gruppen von vornherein chancenlos sind, „werden wir das nicht akzeptieren dürfen“, sagte er.
Das sollte und könnte sie sicher sein, aber meine persönliche Hoffnung auf die Lernfähigkeit der Menschen aus der Geschichte ist auch hier nicht riesig. Man denke nur an die „Spanische Grippe“oder an Sars-CoV-1. Nach einer Pandemie geraten andere Dinge wieder in den Vordergrund und auch die notwendigen Forschungsgelder werden dann nicht mehr so reichlich zur Verfügung gestellt. Auch die Forschungsförderung hängt vom aktuellen öffentlichen und politischen Interesse ab.
Nachtrag zur Folge vom 23. und 26. März dieser Kolumne:
Es kann aufgrund neuer Untersuchungsergebnisse gesagt werden, dass Sars-Coronavirus-2 sowohl an Tröpfchen gebunden als auch durch Aerosole, d.h. mit Mikrotröpfchen, eine wichtige Unterscheidung, ausgeschieden wird. Diese Aerosole entstehen beim Atmen und Sprechen und schweben länger in der Luft. Es konnte auch experimentell bestätigt werden, dass es dadurch zur VirusKontamination von Gebrauchsgegenständen in der Umgebung des „Ausscheiders“kommen kann. Welche Bedeutung dem Letzteren als Übertragungsweg zukommt, weiß man allerdings nicht. Weiter konnte ganz aktuell gezeigt werden, dass MNS (chirurgische Masken) die Ausscheidung signifikant reduzieren.