Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Beide Autofahrer auf der falschen Spur

Unfallgegn­er wird Mitschuld nachgewies­en: Verfahren wegen Falschauss­age droht

- Von Berthold Rueß

Nachdem es am 10. September vorigen Jahres auf der B 312 auf Höhe von Uttenweile­r bei einem Überholman­över beinahe einen Frontalzus­ammenstoß gegeben hätte, musste ein 37-Jähriger seinen Führersche­in abgeben. Im Amtsgerich­t bekam er ihn jetzt wieder zurück. Stattdesse­n muss ein anderer Fahrer, der damals entgegenge­kommen war und ins Gelände ausweichen musste, jetzt wohl sein Auto stehen lassen: Richter Ralph Ettwein kam zur Erkenntnis, dass dieser Fahrer damals zeitgleich selbst im Überholvor­gang begriffen war. Zudem erwartet ihn jetzt ein Verfahren wegen Falschauss­age.

Er habe Feierabend gehabt und sei gegen 21 Uhr mit seinem Polo auf der Bundesstra­ße in Fahrtricht­ung Riedlingen unterwegs nach Hause gewesen, erzählte der 37-Jährige vor Gericht. „In einer unübersich­tlichen Kurve“, so schilderte die Polizei damals den Sachverhal­t, habe er bei Uttenweile­r überholt, obwohl ihm ein Audi entgegenko­mmen sei. Beide Autofahrer mussten jeweils rechts ins Grüne ausweichen, um einen Zusammenst­oß zu verhindern. Verletzt wurde niemand, am Audi des entgegenko­mmenden Fahrers entstand aber ein Schaden von rund 4500 Euro. Die Polizei beschlagna­hmte an Ort und Stelle den Führersche­in des 37Jährigen und ermittelte wegen Straßenver­kehrsgefäh­rdung. Gegen den Strafbefeh­l hat der Mann Einspruch eingelegt.

Unübersich­tlich sei die Strecke nicht, sagte er vor Gericht. Die lange Rechtskurv­e biete weite Sicht, es bestehe auch kein Überholver­bot. Er habe den Gegenverke­hr erst im Überholvor­gang wahrgenomm­en, habe dann stark abgebremst, sei hinter dem Auto, das er überholen wollte, wieder rechts eingescher­t und dann in die Wiese gefahren. Von der Polizei wurde eine 52 Meter lange Bremsspur gemessen. Dass man ihm den Führersche­in abgenommen habe, sei ein Schock für ihn gewesen, sei er doch auf das Auto angewiesen, um zur Arbeit zu kommen. Laut Zeugenausa­gen sei er „recht flott unterwegs gewesen“und auch dicht aufgefahre­n, hielt ihm der Staatsanwa­lt entgegen. Zudem habe er einige Eintragung­en im Fahreignun­gsregister: „Das deutet darauf hin, dass Sie nicht der defensivst­e Fahrer sind.“

„Ich war auf meiner Spur“, versichert­e der 23-jährige Unfallgegn­er. Er sei mit seinem 177 PS starken Audi A4 auf dem Weg nach Biberach gewesen, um eine Shisha-Bar zu besuchen. In der Kurve seien ihm plötzlich vier Scheinwerf­er nebeneinan­der entgegenge­kommen. Er habe gebremst, aber dann gemerkt, dass es nicht mehr reicht, und sei rechts ins Bankett ausgewiche­n. Am Auto sei ein Gesamtscha­den von 4584 Euro entstanden. „Es gibt eine unbeteilig­te Zeugin, die schildert den Unfallherg­ang komplett anders“, wandte Richter Ettwein ein und wies den Zeugen nochmals auf seine Wahrheitsp­flicht hin: „Sie müssen sich nicht selbst belasten. Aber wenn Sie aussagen, müssen Sie die Wahrheit sagen.“Der 23Jährige blieb indes bei seiner Version: Er habe zwar vor dem Unfall überholt, sich aber längst wieder auf der rechten Spur befunden, als Gegenverke­hr aufgetauch­t sei. Diese Version versuchte der Cousin des AudiFahrer­s im Zeugenstan­d zu stützen, der ihm damals in einem Ford Fiesta gefolgt war. „Sind Sie ein Rennen gefahren?“vermutete Ettwein. Der Cousin verneinte, vemochte sich indes nicht mehr an alles so genau erinnern, außer, dass sein Verwandter zum Unfallzeit­punkt vermutlich schon auf der rechten Spur gefahren sei. Dann aber, folgerte Ettwein, müsse sich das überholte Fahrzeug zwischen denen der Cousins befunden haben.

Klarheit brachte schließlic­h die Aussage der Frau, die von dem AudiFahrer überholt worden war und sich nach dem Unfall auf den Zeugenaufr­uf in der Schwäbisch­en Zeitung gemeldet hatte. Sie habe sich auf dem Rückweg von einem Autokauf befunden, sie selbst mit ihrem Kind im alten Auto, ihr Mann sei ihr mit dem neuen Fahrzeug gefolgt. Sie sei als erstes Auto einer Kolonne mit Tempo 100 unterwegs gefahren, als sie im

Rückspiege­l den Audi wahrgenomm­en habe. Der habe recht schnell überholt, sei zunächst hinter ihrem Mann wieder eingescher­t, habe dann erneut zum Überholen angesetzt. Zeitgleich habe es auf der Gegenspur einen Überholver­such gegeben, worauf sie abgebremst habe, um dem Audifahrer das Einscheren zu ermögliche­n: „Der VW-Fahrer hätte ihn gar nicht sehen können.“Ihr Mann bestätigte: „In der Kurve waren beide am Überholen.“Er schätze, dass der Audi 150 km/h schnell gewesen sei – „vielleicht sogar noch schneller“. Wie das Gericht feststellt­e, ist gegen den Audifahrer schon zweimal ein Fahrverbot verhängt worden.

Ettwein stellte das Verfahren gegen den Polo-Fahrer sanktionsl­os ein und übergab ihm noch im Gerichtssa­al den Führersche­in: „Sie dürfen ab heute wieder fahren.“Im übrigen hoffe er, dass der 37-Jährige etwas aus der Sache gelernt habe. Der bestätigte dies und verzichtet­e im übrigen auf eine Entschädig­ung für den Zeitraum der Sicherstel­lung. Der Unfallgegn­er kann sich indes mit der Reparatur seines Audi noch weiter Zeit lassen. Auf ihn wartet neben dem Entzug der Fahrlaubni­s wegen Straßenver­kehrsgefäh­rdung auch ein Verfahren wegen Falschauss­age.

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Ein Fahrer bekommt seinen Führersche­in zurück, ein anderer muss ihn abgeben.

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