Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Wenn Genesene krank bleiben
Anzeichen mehren sich, dass eine Covid-19-Erkrankung Langzeitschäden verursachen kann
- Das neue Coronavirus hatte im Laufe der vergangenen Wochen mehrere unangenehme Überraschungen parat: Es ist viel ansteckender als der eng verwandte Vorgänger Sars-CoV-1 in den Jahren 2002/2003, nicht nur Menschen in den Hochrisikogruppen können ernsthaft erkranken und die künstliche Beatmung erweist sich viel zu oft als wenig hilfreich. Außerdem häufen sich die Anzeichen, dass das Coronavirus gesundheitliche Langzeitschäden verursachen kann.
Viele Mediziner beobachten, dass sich der Zustand von Covid-19Patienten verschlechtert, sobald diese an ein Beatmungsgerät angeschlossen wurden. In Italien starb der größte Teil der beatmeten Patienten. Krankenhäuser in den USA versuchen deshalb, die Beatmung so lange wie möglich hinauszuzögern. In Deutschland sterben 30 Prozent der Covid-19-Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt wurden. Und wer die Behandlung mit künstlicher Beatmung überlebt hat, kann davon Schäden davontragen. So betont SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, selbst Arzt, dass nach längerer Beatmung „das spätere Demenzrisiko erhöht ist oder oft Nieren und andere Organe geschädigt werden“.
Zwar wird gern betont, dass vier von fünf Corona-Erkrankungen mild verlaufen, etwa mit Fieber und trockenem Husten. Aber immer häufiger wird auch von dauerhaften Schäden an Lunge, Hirn oder Herz berichtet. Scheinbar harmlose Krankheitsverläufe führen plötzlich zu schweren Beeinträchtigungen, auch bei unerwarteten Patienten.
Aktuell berichtet etwa die Universitätsklinik Innsbruck, dass es bei sechs Tauchern, die allesamt nicht stationär behandelt werden mussten, sondern zu Hause Covid-19 auskurierten, nicht nur mit dem Tauchen vorbei ist, sondern sie wohl lebenslang in Behandlung bleiben werden. Die Schäden an der Lunge seien irreversibel, sagt Oberarzt Frank Hartig. Das sei „schockierend“, weil man die Gründe dafür nicht verstehe. Das Robert-Koch-Institut (RKI) als oberste Behörde für Infektionskrankheiten betont zwar, es lägen bisher „nur wenige belastbare Informationen zu Langzeitfolgen von Covid-19 vor“, verweist dann aber selbst auf neue Studien, die neurologische Langzeitfolgen nahelegen. So werde von krankhaften Gehirnveränderungen und Hirnhautentzündungen berichtet. Auch Schäden am zentralen Nervensystem, die Lungenversagen begünstigten, wurden demnach beschrieben. Zudem könne man laut RKI auch Rückschlüsse aus der ersten SarsVerbreitung ziehen. Hier wurden später verschiedene körperliche und psychische Langzeitfolgen entdeckt. So wurde von anhaltender Einschränkung der Lungenfunktion und geminderter physischer Leistungsfähigkeit, aber auch von Angststörungen, Panikattacken, Depressionen berichtet. Was bei beiden Sars-Varianten definitiv bereits gleichermaßen beobachtet wurde, ist das Auftreten von Lungenfibrosen.
Mit dem Begriff werden chronische Entzündungen des Lungengewebes beschrieben, die normalerweise etwa durch Rauchen begünstigt werden. Dabei vernarbt das Bindegewebe zwischen den Lungenbläschen. Auch wird die Lunge steifer, kann sich nicht mehr wie gewohnt ausdehnen. Das begünstigt Atemnot und ist unheilbar – im schlimmsten Fall sogar tödlich. Auch neurologische Erkrankungsanzeichen häufen sich. Eine Studie aus dem Corona-Ausbruchsort Wuhan
macht bei etwa jedem Dritten Covid-19-Patienten Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen, Geschmacksund Riechstörungen aus. Auch aus Italien werden Kopfschmerzen, Übelkeit und Bewusstseinsstörungen berichtet.
In Japan fanden Ärzte das Coronavirus im Nervenwasser des Gehirns eines 24-Jährigen, der nach Müdigkeit, Kopfschmerz, Übelkeit und Fieber plötzlich mit epileptischen Anfällen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Der NasenRachen-Abstrich auf Sars-CoV-2 hingegen war negativ. Für die Deutsche Gesellschaft für Neurologie „verdichten sich damit die Hinweise, dass Covid-19 nicht nur ein pneumologisches Krankheitsbild ist“– also Hirnhautentzündung statt Lungenentzündung. Es zeige sich, so DGN-Generalsekretär Professor Peter Berlit, „dass das Nervensystem bei Covid-19-Erkrankungen befallen sein kann, und zwar auch bei sehr jungen Patienten“. Gefahr kann Corona auch für das Herz bedeuten. Von den Patienten mit schweren Verläufen haben ein Fünftel Herzmuskelschädigungen. Es scheint möglich, dass das Virus das Herz direkt angreift und zu bleibenden Schäden führt. Für Joachim Thiery, Dekan der Medizinischen Fakultät der Kieler Universität, wo man jetzt in einer Datenbank Erkenntnisse zu erkrankten Norddeutschen sammeln will, ist Covid-19 „eine Systemerkrankung“, über die Ursachen und die Bekämpfung dieser Schäden „wissen wir praktisch noch nichts“.
Obwohl mittlerweile also mehr als die Hälfte der in Deutschland Infizierten als geheilt gilt, heißt das nicht, dass alle davon mit dem Schrecken davongekommen sind. Ebenso unbekannt ist derzeit noch, ob bereits Genesene immun gegen eine erneute Infektion sind.