Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die wollen nur spielen
Apps machen das Investieren an der Börse kinderleicht, was fatale Folgen haben kann
- Man kennt sie aus Computerspielen: Typische Gamification-Elemente wie das Aufsteigen in Ranglisten, das Sammeln von Erfahrungspunkten, Fortschrittsbalken oder die Erfüllung bestimmter Aufgaben. Die Absicht ist immer klar: Spielerische Elemente sollen dazu führen, dass die Motivation der Spieler erhalten bleibt oder gesteigert wird. Elemente des Gamification können diese Funktionen aber auch erfüllen, wenn sie zur Anreicherung seriöser Anwendungen dienen. Bewährt hat sich diese Vorgehensweise etwa bei Lernprogrammen, Apps zum Erreichen persönlicher Ziele oder der Bewertung von Hotels und Restaurants.
Was aber passiert, wenn Elemente der Gamification auch bei der digitalen Geldanlage Anwendung finden? „Für wen das Smartphone ein ständiger Begleiter ist, für den ist die Hemmschwelle zum Kapitalmarkt sehr, sehr niedrig“, sagt dazu Professor Dennis Kundisch von der Universität Paderborn. Wenn dann noch viele Menschen zu Hause sitzen, wie es während des Corona-Lockdowns im März und April der Fall war, hat man plötzlich Zeit sich auch mit Börsen-Apps zu befassen – sozusagen Zocken aus Langeweile mit etablierten Onlinebrokern oder den aufkommenden Neobrokern wie Trade Republic, Just Trade oder Gratisbroker.
Wie man Kunden für die Geldanlage mithilfe von Gamification gewinnen kann, macht derzeit der US-Gratisbroker Robinhood vor, der insbesondere junge Anleger für sich gewinnen kann.
Seit Jahresbeginn sind weltweit drei Millionen Neukunden hinzugekommen, davon handelte es sich bei der Hälfte um Novizen an der Börse. Ihnen wird eine einfach zu bedienende Smartphone-App geboten, die mit spielerischen Elementen, farbenfrohen Glitzerbildern sowie Konfettiregen und Emojis die Kunden bei Laune hält – Gamification wie aus dem Lehrbuch. Das Ganze läuft so selbsterklärend ab wie Musikfinden auf Spotify oder Ziele entdecken auf Google Maps. „Je spielerischer die Darstellungen sind, desto gefährlicher wird es, zum Trading verführt zu werden“, sagt Kundisch.
Und das ist auch der Vorwurf an Robinhood: der Gratisbroker trägt zwar den Anspruch vor sich her, das Investieren in Aktien und ETFs zu demokratisieren, andererseits ist seine TradingApp aber so aufgebaut, dass sie laut „New York Times“unerfahrene Anleger zum Zocken verführen kann. Derartige Anreize laufen jedenfalls dem Ansatz zuwider, am Aktienmarkt langfristig anzulegen. Die Grenzen zwischen einer nachhaltig überlegten Geldanlage und der impulsgesteuerten Spekulation drohten auf diese Weise zu verschwimmen, so Kundisch. „Wer da Blut geleckt hat, für den kann das Traden schnell zur Sucht werden“, warnt der Experte.
Und da kann es schon mal sein, dass man Spiel mit Ernst verwechselt. Schließlich ist es richtiges Geld, das über die Onlinebroker digital angelegt und eben auch verloren werden kann. „Anfällige Anleger können dazu neigen wegen der Nähe zum Spielerischen, Risiken zu unterschätzen“, so Kundisch. Viele Nutzer hätten eine „Illusion of control“, sagt er. Sprich: Man hat zwar das Gefühl alles im Griff zu haben und doch fehlt oft ein tiefergehender Einblick in den Kapitalmarkt.
Dass nun auch die europäischen Neo- und Onlinebroker verstärkt auf Gamification-Elemente zurückgreifen werden, ist derzeit allerdings weniger zu erwarten. Dies ist auch auf Robinhoods Ankündigung zurückzuführen, seinen für Juli geplanten Einstieg in den europäischen Markt zunächst zurückzustellen. Als offizielle Begründung wurde zwar die unsichere Lage der Weltwirtschaft genannt. Allerdings dürfte auch der Tod eines 20-jährigen Kundens eine Rolle gespielt haben, der sich aus Verzweiflung das Leben genommen hat, nachdem ihm ein Minus von 730 000 Dollar ausgewiesen wurde. In Wirklichkeit aber war der Verlust aus dem Handel mit komplexen Wertpapieren nur ein temporärer, doch hatte ihm die Trading-App nicht alle Details einer Transaktion angezeigt.
Man darf also gespannt sein, wie Robinhood seinen Marktauftritt gestalten wird, sollte er seinen Einstieg in Europa doch noch nachholen. Für einen deutschen Neobroker wie etwa Trade Republic kommt jedenfalls der Einsatz von Gamification-Elementen nicht infrage. „Unsere App ist schick, aber neutral und sachlich“, sagt Gründer Christian Hecker.