Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Wo Urlauber in Not während der Pandemie Hilfe bekommen
Wer sich in Corona-Zeiten eigenständig auf Reisen begibt, trägt auch selbst das Risiko – Mit welcher Unterstützung können Individualreisende rechnen?
Im Frühjahr 2020 fand die größte Rückholaktion in der Geschichte der Bundesrepublik statt: 240 000 Deutsche wurden aufgrund der Covid-19-Pandemie aus dem Ausland zurück nach Deutschland gebracht. Das soll es kein zweites Mal geben, stellte die Bundesregierung klar. In Notfällen können Reisende aber natürlich weiterhin auf konsularische Hilfe zählen. Doch was genau bedeutet das für Individualreisende, um die sich kein Veranstalter kümmert?
Zunächst ein realer Fall: Sieben Tage saß Ronja Kötzer Mitte März in einem der letzten geöffneten Hostels in Panama City fest, fünf Tage davon in völliger Ungewissheit. Eigentlich wollte die 23-jährige Studentin aus Passau nach ihrem Auslandspraktikum noch bis nach Peru reisen. Doch dann kamen die Nachrichten der besorgten Mutter, die Grenzschließung, bewaffnete Patrouillen und die Ausgangssperre. Kötzer war schließlich klar: „Ich muss zurück nach Deutschland.“Zuerst trug sich Kötzer in die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amtes ein. Da die Seite völlig überlastet war, dauerte es vier Tage, bis die Registrierung funktionierte. Währenddessen suchte die Deutsche intensiv nach Rückflügen – die meisten waren aber entweder schon storniert worden oder kosteten um die 2000 Euro. Dann hörte sie von der Rückholaktion. Zwei Flieger sollte es geben, der erste für Risikopatienten und Ärzte. Am 27. März kam schließlich die E-Mail der Botschaft: In zwei Tagen gebe es einen Rückholflug nach Frankfurt.
Das Beispiel zeigt: Auslandsvertretungen wie Botschaften und Konsulate helfen, wenn es zu Unruhen oder Katastrophen im Aufenthaltsland kommt. Wie bei Ronja Kötzer kann die Vertretung bei der Ausreise helfen. Und: Deutsche können sich auch bei kurzfristigen Aufenthalten über die Krisenvorsorgeliste Elefand registrieren, damit die Botschaft im Ernstfall Kontakt aufnehmen kann. Auslandsvertretungen helfen Reisenden auch in anderen Fällen – etwa wenn Urlauber ausgeraubt wurden und dadurch weder Geld noch Pass haben. Dann stellen sie etwa Ersatzpässe aus. Sie können auch Kontakt zu örtlichen Rechtsanwälten, Ärzten und Übersetzern vermitteln. Finanzielle Vorleistungen sind nur in Ausnahmefällen möglich. All dies galt vor Corona und gilt weiterhin.
Das Auswärtige Amt (AA) versichert, auch jetzt stehe das weltweite Netz von Auslandsvertretungen bereit, „um deutschen Staatsangehörigen in Notlagen konsularische Unterstützung zu leisten und im Bedarfsfall pragmatische Lösungen für eine Rückkehr nach Deutschland zu finden“. Das gelte unabhängig vom Bestehen einer Reisewarnung. Dabei gilt jedoch stets, dass die konsularische Hilfe eine Hilfe zur Selbsthilfe ist. Man muss also zuerst versuchen, sich selbst oder mit Unterstützung von Familie und Freunden zu helfen.
Ein direktes Recht des Einzelnen auf die Gewährung konsularischer
Hilfe sei im Konsulargesetz nicht geregelt, erklärt Rechtsanwalt Vladimir Stamenkovic aus Essen.
Mit Unterstützung bei der Umbuchung ihrer Rückreise können Individualreisende in der Regel nicht rechnen. Hier seien Urlauber auf sich selbst gestellt, sagt Robert Bartel, Rechtsreferent der Verbraucherzentrale Brandenburg. Obwohl es meist teurer sei, könne ein flexibles Ticket eine Lösung sein. Damit hält man sich die Möglichkeit offen, spontan früher oder auch später abzureisen, falls es die Umstände vor
Ort oder eine Infektion fordern. Ohnehin bieten viele Airlines derzeit kostenlose Umbuchungen an.
Bei Reisewarnungen handelt es sich um einen dringenden Appell des Auswärtigen Amtes, von einer Reise abzusehen – aber nicht um ein Reiseverbot. Die Auslandsvertretung verweigert auch nicht die Hilfe, nur weil eine Reisewarnung vorliegt. Rechtsanwalt Stamenkovic betont aber, dass es keinen Anspruch auf bestimmte Schutzmaßnahmen gibt. Die zuständige Behörde könne sogar zum Schutz der Allgemeinheit erhebliche Verletzungen der Rechte eines Staatsbürgers im Ausland hinnehmen. „Dies kann insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn ein Bürger sich über eine Reisewarnung hinwegsetzt und das Risiko einer Sars-Cov-2-Infektion in Kauf nimmt.“
Eine Reisewarnung kann zudem andere rechtliche Auswirkungen haben: Zum Beispiel zahlt die Auslandsreisekrankenversicherung dann in der Regel nicht. Kommt es wie bei Ronja Kötzer zu einer Evakuierung, kann eine Reisewarnung laut
Stamenkovic die Betragshöhe der Rückholkosten, die der deutsche Staat vorher auslegt, beeinflussen.
Die deutsche Auslandsvertretung kann sich zudem nicht über Gesetze und Anordnungen im Reiseland hinwegsetzen. Infiziert sich ein Urlauber vor Ort mit Corona oder besteht auch nur ein entsprechender Verdacht, entscheiden die Behörden des Landes, welche Maßnahmen ergriffen werden. Die Behörden können wie in Deutschland QuarantäneMaßnahmen anordnen. Diese müssen auch von Reisenden befolgt werden. Eine Rückreise in diesem Zeitraum ist in der Regel nicht möglich.
Eine Auslandsreisekrankenversicherung erstattet bei Corona die Kosten einer Heilbehandlung im Ausland und zahlt für den Rücktransport nach Deutschland – sofern sich im Vertrag keine Klausel findet, die Pandemien ausschließt. Das war es dann aber auch. Bei Reisebeschränkungen und Reisewarnungen greift die Versicherung nicht. Auch eine Reiseabbruchversicherung kommt nicht für Kosten auf, wenn es vor Ort plötzlich behördliche Einschränkungen gibt. Und Reiseversicherer erstatten zudem generell nicht die Kosten einer vom Staat organisierten Rückholung nach Deutschland.
Auch Ronja Kötzer wartet noch auf die Rechnung für den Rückholflug aus Panama. „Mein ursprünglich geplanter Rückflug aus Peru hätte 280 Euro gekostet“, sagt die Studentin. Sie rechnet nun mit deutlich höheren Kosten von mehreren Hundert Euro.