Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Gute Nacht, Frankreich
Auch nach der Verkündung einer Ausgangssperre werden die Probleme nicht weniger
- Die geselligen Abende am Pariser Canal Saint-Martin sind erst einmal vorbei. Ab Samstag gilt für die Partymeile ebenso wie den Rest der Hauptstadt eine nächtliche Ausgangssperre. Präsident Emmanuel Macron will mit der drastischen Maßnahme, die er auch für acht andere Großstädte verhängte, verhindern, dass vor allem junge Leute zusammenkommen und das Coronavirus weitergeben. Mehr als 400 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner zählt Paris täglich, rund 20 000 sind es in ganz Frankreich. „Wir stecken in der zweiten Welle“, räumte Macron in einem Fernsehinterview ein, zu dem er zwei Journalisten im goldenen Dekor des Elysée-Palasts empfing.
Der Staatschef, der mehr als drei Monate lang nicht mehr zu seinen Landsleuten gesprochen hatte, war zu neuen Maßnahmen verpflichtet. Denn in Paris sind bereits wieder 46 Prozent der Beatmungsbetten mit Covid-19-Patienten belegt. Ein Drittel der Operationen muss bereits abgesagt werden, um Plätze für die Pandemiekranken frei zu halten. Gleichzeitig ist das Krankenhauspersonal noch von der ersten Welle erschöpft und streikte am Donnerstag für deutliche Lohnerhöhungen und Neuanstellungen.
„Es gab in den vergangenen Monaten Versprechen, denen keine Taten folgten“, kritisierte die Neurologin Sophie Crozier im Radiosender Europe 1. Die im Sommer beschlossenen Lohnerhöhungen seien „nicht auf der Höhe“gewesen. Die französischen Krankenschwestern und -pfleger gehören zu den am schlechtesten bezahlten in Europa. Ein runder Tisch hatte im Juli eine monatliche Lohnerhöhung von 180 Euro beschlossen. Nicht genug für diejenigen, die monatelang in den Krankenhäusern um das Leben der CoronaPatienten kämpften. Das schlecht bezahlte Krankenhauspersonal zieht Konsequenzen. Gut ein Drittel will dem Hospital den Rücken kehren.
Schwestern und Pfleger, aber auch Ärzte waren dabei nicht ausreichend geschützt, sodass sich viele ansteckten und auch starben. Der
Mangel an Masken und Schutzkleidung hat inzwischen ein juristisches Nachspiel: Die Polizei durchsuchte am Donnerstagmorgen die Wohnungen des früheren Premierministers Edouard Philippe, von Gesundheitsminister Olivier Véran, seiner Vorgängerin Agnes Buzyn und Ex-Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye. „Die Regierung hat es den Pflegern nicht ermöglicht, sich gegen eine Krankheit zu schützen, die im Anmarsch war“, kritisierte der Anwalt des Ärztekollektivs Inter Urgences, Arié Allimi, im Fernsehsender BFMTV. Das Kollektiv hatte Anzeige gegen die Politiker wegen Untätigkeit in der Krise erstattet. Das Datum der Hausdurchsuchungen war schon lange vorab festgelegt und fiel zufällig auf den Tag nach den Ankündigungen des Präsidenten.
Macron wehrte sich im Fernsehen gegen den Eindruck, dass die Regierung im Kampf gegen das Virus versagt habe. Genau das wirft ihm die Opposition nämlich vor. „Wenn wir in dieser Situation sind, dann, weil die Regierung seit Monaten unfähig war, auf der Höhe der Herausforderung
zu sein“, sagte der konservative Abgeordnete Aurelien Pradé. Vor allem bei Tests und Nachverfolgung der Kontaktketten habe es Pannen gegeben, kritisieren seine Parteikollegen. Zwar werden in Frankreich inzwischen rund 1,3 Millionen Menschen pro Woche getestet, doch auf das Ergebnis muss teilweise noch immer tagelang gewartet werden. Die Nachverfolgung per App erweist sich als völliger Flop: In der nächsten Woche soll eine neue App folgen.
Frankreich gehört mit über 33 000 Toten zu den am meisten von der Pandemie betroffenen Ländern. Am Donnerstagabend hat die Bundesregierung neben den gesamten Niederlanden auch ganz Festland-Frankreich zum Corona-Krisengebiet erklärt. Bislang war die Region Grand Est an der Grenze zu Deutschland von der Warnung ausgenommen gewesen. Einreisen nach Deutschland sind danach nur mit nachfolgender Quarantäne möglich. Systematische Grenzkontrollen sollten vermieden werden, sagte der französische Abgeordnete Christophe Arend dem Radiosender France Bleu.