Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Chaotische Buchhaltung bringt Wirt vor Gericht
Gerichtsverhandlung legt finanzielle Ungereimtheiten in einem Gasthof offen
- Hat ein Wirt im südlichen Landkreis in großem Stil Lohn unterschlagen oder wurden ihm seine chaotische Buchführung und ein Streit mit einer Ex-Mitarbeiterin zum Verhängnis? Um diese Frage drehte sich die Verhandlung vor dem Sigmaringer Amtsgericht am Mittwoch. Der 60-jährige Angeklagte, der einen Landgasthof betreibt und als berufliches Nebenstandbein Tiere züchtet, hat sich wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgeldern in 69 Fällen zwischen Juni 2016 und Dezember 2018 verantworten müssen. Laut Anklageschrift ging es um Beträge in Höhe von mehr als 44 000 Euro, die angeblich nicht nach Vorschrift an Arbeitnehmer, Krankenkassen und Sozialversicherung abgeführt worden sein sollen. Während der Verhandlung kamen jedoch auch Details ans Licht, die den Wirt entlasteten. „Ein Großteil der Vorwürfe stimmten so nicht“, sagte sein Anwalt zu Beginn.
Der Verhandlung waren bereits zwei Strafprozesse wegen einer Streitigkeit mit einer früheren Mitarbeiterin, die den Wirt bestohlen haben soll, vorangegangen. Sie hatte längere Zeit im Gasthof ein Zimmer bezogen, Kost und Logie wurden mit ihrem Gehalt verrechnet. „Sie gehörte zur Familie“, so der Angeklagte. Sowohl in der Küche des Wirtshauses als auch bei anfallenden Arbeiten in den Gästezimmern half sie mit. Irgendwann stellte der Wirt Differenzen bei der Abrechnung fest. „Dann hat der Generalschlüssel meiner Frau gefehlt“, so der 60-Jährige. Eine Durchsuchung des Zimmers seiner Mitarbeiterin förderte den Schlüssel sowie eine Tasche mit nagelneuen Bettbezügen zutage, die der Wirt als Eigentum des Gasthofs identifizierte und schon länger vermisst hatte. Außerdem fand der 60-Jährige mehrere Tausend Euro Bargeld. Daraufhin stellte er die Mitarbeiterin zur Rede und rief die Polizei.
Die Situation sei „eskaliert“, die Frau habe versucht, zu flüchten, wurde von der Polizei wieder aufgegriffen. Die ehemalige Mitarbeiterin stellte wiederum ebenfalls Strafanzeige gegen den Wirt – sie habe viel mehr gearbeitet als vertraglich vereinbart war, und lediglich jeden zweiten Donnerstag einen halben Tag frei bekommen. Da sie vor Gericht nicht erschien, konnten dem
Angeklagten jene Vorwürfe auch nicht nachgewiesen werden.
Der Anwalt des Angeklagten will in der Klage der Ex-Mitarbeiterin gegen die nicht angemessene Bezahlung ihrer Arbeitsleistung eine „Retourkutsche“für ihre Kündigung wegen des Diebstahls sehen. Sie habe sich zuvor noch nie über zu wenig Lohn beklagt, gab der Wirt an. Doch die Verhandlung am Mittwoch drehte sich nicht nur um jene Mitarbeiterin, auch bei der Lohnabrechnung anderer Servicekräfte gab es Unregelmäßigkeiten, welche im Laufe der Verhandlung auf eine schlampige Buchhaltung eines überforderten Gastwirts deuteten. Fehlende Arbeitsverträge, lückenhafte Lohnabrechnungen
und Stundenaufzeichnungen machten es den Ermittlungsbehörden schwer herauszufinden, wer wann in welchem Umfang gearbeitet hatte. Augenscheinlich konnte sich der Wirt auch nicht mehr an alle ehemaligen Mitarbeiter erinnern. „Manche Aushilfen bleiben nur drei Wochen da“, schildert der Mann. Zudem widersprachen sich zum Teil die Aussagen des 60-Jährigen mit jenen einer vernommenen ehemaligen Mitarbeiterin, was die Anzahl der Schließtage des Gasthofs betraf.
Auch die Vernehmung von zwei anderen Zeugen, einem Polizisten und einer Vertreterin der Deutschen Rentenversicherung, brachten kaum Licht ins Dunkel. Zu undurchsichtig waren die Aufzeichnungen der Arbeitszeiten der Mitarbeiter der vergangenen Jahre. Auf Grundlage der dürftigen Notizen und Überträgen von nicht vertraglich festgelegten Überstundenkonten definierten Ermittlungsbehörden und die Vertreterin der Rentenversicherung die ausstehenden Beträge. Einer früheren Mitarbeiterin – sie hatte 487,5 Überstunden angesammelt – hatte der Wirt zwischenzeitlich die Lohndifferenz ausbezahlt, was ihm von der Staatsanwaltschaft positiv ausgelegt wurde.
Aufgrund der undurchsichtigen Ausgangslage und wegen des Nichterscheinens der Hauptzeugin plädierte die Staatsanwältin in vielen
Fällen der Anklageschrift für Freisprüche, sodass von 69 Anklagepunkten noch 26 übrig blieben. Einige Fälle der Anklage waren außerdem bereits verjährt.
Richterin Kristina Selig orientierte sich mit ihrem Urteil an dem Vorschlag der Staatsanwältin. In 26 übrigen Anklagepunkten schuldig gesprochen, erhielt der Wirt, der mit seinen Einnahmen gerade so über die Runden kommt, eine Geldstrafe in Höhe von 2400 Euro. Das letzte Wort hatte der Angeklagte selbst. „Ich wusste nicht, dass sich etwas Falsches mache“, so der 60-Jährige, der schnell hinterherschiebt: „Aber Unwissenheit schützt ja vor Strafe nicht.“