Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Alttestamentarische Pädagogik im Rückblick
Dass Geschwisterbeziehungen nicht immer ganz einfach sind, weiß die Menschheit schon seit Kain und Abel. Bereits die ersten gemäß Altem Testament existierenden Brüder waren sich nicht grün. Getrieben vom Neid – und dem parteiischen Verhalten von Gottvater, der das als Opfer dargebrachte Gemüse von Kain verschmähte und nur das Lamm von Abel goutierte – erschlug Kain den Abel. Und was lernen wir jetzt daraus? Auf alle Fälle, dass der Herrgott kein Vegetarier ist.
Heutige Pädagogen würden das Verhalten des himmlischen Vaters natürlich kritisieren. Man solle Kinder zwar nicht gleichmachen, ihre jeweiligen Bemühungen aber dennoch in gebührender Weise würdigen, hieße es heute. Kain wäre in der Gegenwart ein Kandidat für den Kinderund Jugendpsychologen, um die gemüsebedingte Zurückweisung zu verarbeiten und nicht zum Trauma werden zu lassen. Natürlich kann Ermutigung auch in eine andere Richtung kippen, sodass viele Eltern von heute zum Beispiel das farbklecksige Gekrakel ihres Filius als Vorstufe der Genialität eines van Gogh fehlinterpretieren. Oder das linkische Gekratze
des Töchterchens auf der hilflosen Geige als frühes Symptom einer späteren Orchesterkarriere internationalen Ausmaßes.
Später hat Jesus im Neuen Testament gesagt, wir Menschen seien alle Schwestern und Brüder. Wie er das vor dem Hintergrund des Alten Testaments gemeint haben mag? Fest steht, dass der Menschheit schon geholfen wäre, würden wir Erdenbürger wenigstens höfliche Distanz üben. Das hätte auch den Abel sicher gefreut. (nyf )