Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Mann, oh Mann!
„Masculinities“im Gropius Bau Berlin zeigt Fotografien zum alten und neuen Männlichkeitsbild
- Was macht richtige Männer aus? Breite Schultern, starke Muskeln, ausgeprägtes Selbstbewusstsein? Gleich beim Eingang in die Ausstellung „Masculinities“im Gropius Bau überrascht John Coplans Foto, eine altarähnliche Komposition mit Ansichten eines nackten Mannes. Kein junger, kräftiger Körper, sondern ein alternder, mit Bauchfalte und sichtbarer Wirkung der Schwerkraft auf das Hinterteil. Ganz klar sehr männlich, und trotzdem nicht stark.
Die Gruppenausstellung „Masculinities: Liberation through Photography“will zeigen, wie Männlichkeit seit den 1960er-Jahren erlebt wird und wie sich das Bild verändert hat. Auch wenn der Titel etwas hoch gegriffen ist, weil Fotografie allein niemand befreit, ist es eine sehenswerte Präsentation.
Was also ist Männlichkeit? Die Ausstellung, in Zusammenarbeit mit dem Londoner Barbican Centre entwickelt, zeigt 300 Arbeiten 50 internationaler Künstler. Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Baus, wünscht sich, dass zum Beispiel Familien kommen und anschließend über Klischees der Männlichkeit diskutieren.
Als Richard Avedon 1976 den Auftrag erhielt, zum 200. Geburtstag der USA berühmte Persönlichkeiten aufzunehmen, gestaltet er ein großes Bild mit 69 Porträts von Henry Kissinger bis Gerald Ford, fast alles Männer. Vor allem: alles weiße Männer mittleren Alters. Liegt hier die Macht der Männlichkeit?
Nein, es hat sich etwas verändert in den vergangenen 50 Jahren. Rührend überholt wirken heute die „Gentlemen“-Fotografien aus dem Innenleben englischer Clubs der 80er-Jahre von Karen Knorr. Die Fotografin erinnert daran, dass in dieser Zeit selbst Margaret Thatcher in solchen Herrenclubs nur als assoziiiertes Mitglied geduldet wurde.
Das Bild des starken Mannes ist längst ins Wackeln geraten, die Ausstellung hinterfragt folglich konventionelle Klischees. Sensationell zum Beispiel sind die in Kandahar gefundenen Fotografien von Talibankämpfern, die wie Mädchen geschminkt mit Rouge auf den Wangen und Kajalrand an den Augen verträumt in die Zukunft schauen.
Viel Raum wird jenen eingeräumt, die mit offen gezeigter Homosexualität Männlichkeit „queren“. Politische Bilder, wie jene von Sunil Gupta, der in Thatchers Großbritannien gegen das Verbot kämpft, gleichgeschlechtliche Beziehungen eindeutig darzustellen. Oder versteckte Bilder, wie jene von Karlheinz Weinberger, der in Zürich ein Doppelleben führte – tagsüber als Lagerverwalter von Siemens im Örlikon, abends als Fotograf homosexueller Freunde im Elvis-Look, die in einer Schwulen-Zeitschrift unter Pseudonym veröffentlicht wurden.
Anrührend sind Ausschnitte aus dem Familienleben: In „Grandpa goes to heaven“thematisiert Duane Michals Alter und Tod. Während Aneta Bartos unbarmherzig auf ihren Vater blickt, den alternden Bodybuilder, der sich an der Grenze der Lächerlichkeit in Szene setzt. Verstörend sind dagegen die Bilder von Richard Billingham, der seinen alkoholkranken Vater Ray zeigt.
Aber es werden auch Fotos präsentiert, welche die Klischees so sehr bedienen, dass sie sie hinterfragen. Etwa Wolfgang Tillmans „Soldiers“, Presse- und Fernsehbilder von internationalen Einsätzen in Bosnien oder am Persischen Golf, die eine Art Hypermaskulinität feiern. Auch Peter Marlows Rugbyspieler oder Rineke Dijkstras Stierkämpfer gehören in diese Kategorie.
Ein besonderes Schmankerl ist das letzte Kapitel der Ausstellung, in der Marianne Wex typische Posen von Männern analysiert. Wie die Hackordnung durch Körperhaltung bestätigt wird, lässt sich in jeder UBahn nachvollziehen: Männer, die breitbeinig mit den Füßen nach außen ihr Revier besetzen, Frauen, die sich graziös mit den Fußspitzen nach innen setzen.
Alona Pardo, die Londoner Kuratorin meint bei der Eröffnung in Berlin: „Es ist Zeit, die vielen Aspekte von Männlichkeit zu verstehen.“Die Schau erklärt manches, aber sie gibt keine Antworten, sondern regt mit ihrer Vielschichtigkeit zum Hingucken und Nachdenken an.
„Masculinities“im Gropius Bau Berlin dauert bis 10. Januar. Öffnungszeiten: Mi.-Mo. 10-19 Uhr.