Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Todesursache Mensch
Klimafolgenbuch „2084“zeichnet eine düstere Zukunft – Mix aus Fakten und Fiktion
Opa, wenn die Menschen wussten, dass die globale Erwärmung schlimm werden würde, warum haben sie sie nicht aufgehalten?“Das ist die zentrale Frage, die sich die Menschheit in „2084“aus der mittelfernen Zukunft stellen lassen muss. Der Autor und Wissenschaftler James L. Powell hat damit ein Werk vorgelegt, das dem Leser einen Blick in eine düstere Zukunft gewährt, wenn die drohende Klimakatastrophe vollends eintritt. Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen.
Diese Reise, so viel sei verraten, wird keine Kaffeefahrt. Die Welt im Jahr 2084 – angelehnt ist der Titel an George Orwells legendäre Zukunftsvision „1984“– sieht verheerend aus. Aus den Worten, die der Autor fiktiven Forschern und Experten in Interviewform in den Mund legt, wird schnell klar: Niemand will in dieser Zukunft leben.
Die heute vorausgesagten Szenarien zu Meeresspiegelanstieg, Dürren und weiteren Klimawandelfolgen treten nicht nur in ihrer schlimmsten Form ein, sondern werden teils gar übertroffen. Städte wie Rotterdam sind untergegangen, der AmazonasRegenwald ist vernichtet worden, die Alpen kennen seit den 2040er-Jahren keine Schneekuppen mehr. Schon im Jahr 2042 stürzt eine Flutwelle die Freiheitsstatue vor New York um, Tiere wie Eisbären und Buckelwale sind Geschichte. Wasserknappheit führt zu Kriegen und zu der Erkenntnis, „dass der Mann flussaufwärts König ist“. Und Indien und Pakistan stürzen sich in einen beispiellosen Atomkrieg und damit ins Verderben.
Der Mensch stirbt durch Naturkatastrophen – die Todesursache dafür ist er aber selbst mitsamt seinem Handeln. Gebeutelt von Waldbränden, Überschwemmungen und anderen Katastrophen suchen Millionen Klimaflüchtlinge nicht bloß ein besseres Leben, sondern das schlichte Überleben. Hilfe von den Vereinten Nationen erhalten sie nicht – die sind nämlich schon lange zusammengebrochen. Jeder Staat kämpft im Grunde nur noch für sich selbst.
Was bei all dem erschreckt, ist die Nüchternheit, mit der Powell die Experten diese Zukunft schildern lässt. Anhand von wissenschaftlichen Fakten und Prognosen zu den Folgen des menschgemachten Klimawandels zeigen diese fiktiven Interviewpartner auf, wohin die Reise geht, auf die die Menschheit die Erde und sich selbst geschickt hat.
Der Autor kann die Zukunft nicht vorhersehen, weiß aber, woher er spricht: Unter den Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush saß er im National Science Board der USA, in seinen wissenschaftlichen Arbeiten kämpft er seit Langem gegen die Behauptungen von Klimaleugnern. In „2084“zeigt Powell nun auf, wie es in sechseinhalb Jahrzehnten um einzelne Aspekte der Klimakrise stehen könnte: um Dürren und Feuer, Überschwemmungen, den Meeresspiegel, das Eis, Kriege, Faschismus und Migration, um die Gesundheit und schließlich das Artensterben. Zum Abschluss stellt er einen Ausweg zur Debatte, der höchst umstritten ist: die Atomkraft.
Was Powells Werk von den meisten anderen Klimabüchern unterscheidet, ist die Vermischung von bekannten Fakten und Fiktion. Das kann man als Stärke, aber auch als Schwäche sehen. Eine Daseinsberechtigung hat „2084“trotzdem allemal. Powells Buch ist eine Erinnerung daran, dass sich etwas ändern muss, sollen künftige Generationen nicht dazu gezwungen werden, in einer wahr gewordenen Dystopie leben zu müssen. Warum akzeptiert die Menschheit, dass sie ihre Zukunft in Gefahr bringt? Diese Frage wirft Powell immer wieder auf. Und am Ende resümiert der fiktive Fragensteller: „Irgendetwas stimmt nicht mit uns.“(dpa)
James Lawrence Powell: 2084. Eine Zeitreise durch den Klimawandel, Quadriga Verlag,
255 Seiten, 22 Euro.