Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Er will alles und noch mehr
Naturgewalt mit diktatorischer Hand – Hamilton bleibt auch nach Meilenstein „on fire“
(SID/dpa) - Der Tag verschwindet allmählich hinter der Abenddämmerung über der Algarve, und Lewis Hamilton ist endlich ein paar Minuten allein. Er trägt eine lange schwarze Jacke, es ist kühl geworden in Portimao. Hamilton steht vor dem klotzigen Mercedes-Motorhome, fast andächtig berührt er den großen silbernen Stern auf der Seitenwand. Seine heißgeliebte Bulldogge Roscoe sitzt neben Herrchen und schaut zu ihm auf – wie der gesamte Rest der Formel 1.
Lewis Hamilton, die Naturgewalt, der König der Formel 1, der Herrscher über all ihre Rekordlisten – nach dem unfassbar souveränen Sieg von LH44 beim Großen Preis von Portugal überschlugen sich die Gazetten in Europa. „Er gewinnt so stilvoll, so leicht, wie es selbst dem großen Michael Schumacher auf der Höhe seines Ruhms nicht gelang“, schrieb die „Daily Mail“. Ein „brutaler Triumph“sei es gewesen, stellte die spanische „AS“fest, sie bescheinigte Hamilton gar, er führe die Formel 1 mit „diktatorischer Hand“. Hamilton sei zum Mythos geworden, erkannte „Tuttosport“im Ferrari-Land Italien neidlos an, zu einem Mythos, „der sogar Michael Schumacher in den Schatten gestellt hat“.
Dessen Siegrekord hat er gebrochen, dessen sieben WM-Titel hat Hamilton längst im Blick. Und wenn alles so läuft, wie es wahrscheinlich ist, kann er auch in dieser Statistik mit einem Sieg beim türkischen Grand Prix am 15. November in Istanbul mit Schumacher gleichziehen. Begründete Zweifel daran gibt es keine, denn, so formulierte es der Schweizer „Blick“: „Lewis Hamilton ist im besten Auto längst zum Mr. Perfect geworden. Clever, fehlerlos, reifenschonend und unerreicht!“
Sein ganzes Genie wurde in Portugal offenkundig. Am Start hatte Pole-Mann Hamilton die Führung übernommen, ehe er in der zweiten Runde auf einmal ohne ersichtlichen Grund zurückfiel. Alles Berechnung, eiskaltes Kalkül. Bei einsetzendem Regen, erzählte Hamilton später, habe er die Reifen schonen wollen: „Und ich wusste ja, dass ich jederzeit wieder nach vorne fahren kann.“
Und wie er nach vorne fuhr. Wie in einer Computer-Simulation knallte der 35-Jährige eine Rundenbestzeit nach der anderen in den Asphalt der Strecke, leicht, spielerisch, scheinbar vollkommen mühelos. Die atemlos hechelnde Meute folgte ihm mit respektvollem
Abstand, allen voran sein Teamkollege
Valtteri Bottas, der am Ende im identischen Auto demütigende 26 Sekunden nach Hamilton das Ziel erreichte. „Valtteri hatte ein tolles Wochenende, er ist sehr stark“, sagte Hamilton. Vielleicht meinte er es auch so, aber es klang wie die letzte Ölung.
Es ist niemand in Sicht, der dem Arbeitersohn aus dem ländlichen Bezirk Stevenage 40 km nördlich von London auch nur annähernd das Wasser reichen könnte. Früh wusste Hamilton, was er wollte, legendär ist die Geschichte, als der Neunjährige dem damaligen McLaren-Teamchef Ron Dennis ankündigte, er werde sich in spätestens zehn Jahren bei ihm melden. Hamilton hielt Wort, 2007 saß er im McLaren, 2008 wurde er erstmals Weltmeister. Der Rest ist Geschichte. Und die geht weiter. Kaum vorstellbar, dass sich Hamilton auf seinen Lorbeeren ausruhen wird, wenigstens Titel Nummer 8 dürfte er noch auf der Uhr haben. Sein Vertrag bei Mercedes läuft Ende 2020 aus, einen neuen hat er noch nicht unterschrieben. Alles Formsache, sagt der Champion, zuerst wolle er seinen Job machen und dann über Verträge reden: „Aber ihr könnt sicher sein, ich bin noch lange nicht fertig.“Zudem sind Rekorde, auch wenn sie Michael Schumacher aufstellte, dazu da, um gebrochen zu werden. Das Wissen nicht nur die Fans, sondern auch Hamilton, der Richtung Schumacher beteuerte: „Ich werde für immer die größte Bewunderung und den größten Respekt empfinden, es ist eine wahrhaftige Ehre, mit Dir in einem Satz genannt zu werden.“
„Ich wusste ja, dass ich jederzeit wieder nach vorne fahren kann.“
Lewis Hamilton