Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Von hart bis „light“
Kanzlerin Merkel und die Länderchefs beraten über weitere Corona-Beschränkungen
- 11 409 Neuinfektionen innerhalb eines Tages – das Coronavirus breitet sich in Deutschland weiterhin rasant aus. Deshalb treffen sich die Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), um über weitere Einschränkungen zu beraten. Es sind mehrere Ansätze denkbar, um das öffentliche Leben herunterzufahren. Ein Überblick:
Merkels „Lockdown light“ Wie würde das aussehen?
alles heruntergefahren werden – also auch Kitas und Schulen und sogar der Grenzverkehr.
Was ist das Ziel?
Damit könne man das Infektionsgeschehen zum Stillstand bringen, argumentiert Strobl. Der Vorteil dieser „sehr, sehr harten“Lösung wäre die zeitliche Begrenzung. Der Innenminister liebäugelt mit dem Weihnachtsgeschäft und Weihnachten im Familienkreis. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es so geschieht. Scharfe Kritik kommt nicht nur von der Opposition. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz spricht von einem „medialen Schnellschuss“Strobls. Und selbst die eigene Partei folgt dem Minister nicht. Das Land in einen kompletten Lockdown zu versetzen, wäre „derzeit nicht verhältnismäßig“, kritisiert CDU-Spitzenkandidatin und Kultusministerin Susanne Eisenmann. Das Virus verschwinde deshalb ja nicht.
Nichts geht mehr Wie würde das aussehen?
Das totale Herunterfahren des öffentlichen Lebens, wie es die Regierungen in Italien, Spanien und Frankreich in der Hochphase der ersten Welle der Pandemie den Bürgern verordnet hatten. Bedeutet konkret: rigorose Ausgangssperren, alle Geschäfte, die keine Lebensmittel oder Medikamente verkaufen, geschlossen. Erlaubt waren nur noch der Gang zum Supermarkt oder in die Apotheke – und das nur mit schriftlicher Erklärung. Selbst Sport und Spaziergänge im Freien waren untersagt. In Spanien waren diese erst im Juni wieder möglich – nach drei Monaten Lockdown. In der Industrie durften nur noch Unternehmen produzieren, die überlebenswichtige Güter herstellen.
Was ist das Ziel?
In der Theorie ist es sehr einfach: Wenn alle Menschen, die nicht an vorderster Front gegen die Auswirkungen von Covid-19 kämpfen, nur noch für lebensnotwendige Einkäufe das Haus verlassen dürfen, sollte das Virus recht schnell eingedämmt sein. Wie soll es sich denn verbreiten? Tatsächlich hat sich die Zahl der Neuinfektionen reduziert – allerdings erst mit der Zeit und mit einem ähnlichen Verlauf wie in Deutschland, das weitaus weniger strenge Auflagen hatte. So hatte Italien Mitte April noch mehr als 4000 Neuinfektionen am Tag – nach über einem Monat totalem Lockdown. Das waren nicht signifikant weniger als im März. Etwas erfolgreicher lief es in Spanien: Hier wurden die Zahlen im April im Vergleich zu den schlimmsten Tagen der ersten Phase in etwa halbiert, wenn auch auf hohem Niveau.
Und der Preis für die Länder hat es in sich: das Bruttoinlandsprodukt ist in Italien im zweiten Quartal um zwölf Prozent zurückgegangen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt Spanien auf das Jahr gerechnet ein Minus von 12,8 Prozent voraus. Zum Vergleich: Für Deutschland rechnet der IWF im laufenden Jahr mit einem Rückgang um 7,8 Prozent.
Sars-CoV-2 muss für sein „Überleben“in der menschlichen Bevölkerung (sogenannte Wirtspopulation) immer wieder von einem Menschen (sogenannter Wirt), der gerade infiziert ist und das Virus vermehrt, auf andere empfängliche Wirte übertragen werden, solange er Virus ausscheidet. Außerhalb seiner Wirte kann sich das Virus nicht vermehren und auch nicht länger infektiös bleiben. Es ist derzeit also erstes Ziel diese für das Virus „lebenswichtigen“Übertragungen zu reduzieren. Dies gelingt über deutliche Verminderung von infektionsrelevanten (!) Kontakten (wie die Kanzlerin zurecht betont). Diesem Ziel dienen die in der Frage oben erwähnten Regeln und auch alle anderen Maßnahmen, die zwischenzeitlich getroffen worden sind. Die Frage, ob eine Maßnahme sinnvoll ist, hängt natürlich davon ab, wie effektiv die Maßnahme Übertragungen tatsächlich verhindert. Die konkreten Maßnahmen müssen unter Umständen im weiteren Verlauf auch angepasst werden. Hierzu muss man die Infektionsmeldungen analysieren, um festzustellen, welche Situationen besonders riskant für Übertragungen sind. Derzeit sind dies vor allem private Feiern und andere ähnliche Treffen, die deshalb nicht stattfinden sollten. Ein wesentliches Instrument für die Beurteilung der Gesamtlage und das Erkennen der für Übertragungen bedeutsamen Situationen sind also Infektionsmeldungen und die Nachverfolgung von Kontakten. Natürlich auch, um Infektionsketten zu unterbrechen (sogenannte ContainmentStrategie). Leider wird das aktuell immer schwieriger, da Infektionen immer verteilter in der Bevölkerung auftreten, ohne dass eine Infektionsquelle ermittelt werden kann. Zweites, sehr wichtiges Ziel ist es, das „Überschwappen“der Infektionen in die Personengruppen mit besonders hohem Risiko für schwere Erkrankung zu verhindern, um diese Menschen und auch das medizinische Versorgungssystem zu schützen. Hierzu müssen sowohl die Risikopersonen durch Selbstschutz als auch die Kontaktpersonen beitragen. In diesem Zusammenhang können künftig auch sogenannte Antigen-Schnellteste eine Rolle spielen. Jeder sollte das Ziel (siehe oben) bei seinem eigenen Verhalten im Auge haben. Auch ein längerer „Schwatz“mit dem Nachbarn ist durchaus möglich, aber eben im Garten und mit deutlichem Abstand.