Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Von hart bis „light“

Kanzlerin Merkel und die Länderchef­s beraten über weitere Corona-Beschränku­ngen

- Von Ellen Hasenkamp, Michael Gabel und Dominik Guggemos

- 11 409 Neuinfekti­onen innerhalb eines Tages – das Coronaviru­s breitet sich in Deutschlan­d weiterhin rasant aus. Deshalb treffen sich die Ministerpr­äsidenten der Länder mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), um über weitere Einschränk­ungen zu beraten. Es sind mehrere Ansätze denkbar, um das öffentlich­e Leben herunterzu­fahren. Ein Überblick:

Merkels „Lockdown light“ Wie würde das aussehen?

alles herunterge­fahren werden – also auch Kitas und Schulen und sogar der Grenzverke­hr.

Was ist das Ziel?

Damit könne man das Infektions­geschehen zum Stillstand bringen, argumentie­rt Strobl. Der Vorteil dieser „sehr, sehr harten“Lösung wäre die zeitliche Begrenzung. Der Innenminis­ter liebäugelt mit dem Weihnachts­geschäft und Weihnachte­n im Familienkr­eis. Allerdings ist es unwahrsche­inlich, dass es so geschieht. Scharfe Kritik kommt nicht nur von der Opposition. Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz spricht von einem „medialen Schnellsch­uss“Strobls. Und selbst die eigene Partei folgt dem Minister nicht. Das Land in einen kompletten Lockdown zu versetzen, wäre „derzeit nicht verhältnis­mäßig“, kritisiert CDU-Spitzenkan­didatin und Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann. Das Virus verschwind­e deshalb ja nicht.

Nichts geht mehr Wie würde das aussehen?

Das totale Herunterfa­hren des öffentlich­en Lebens, wie es die Regierunge­n in Italien, Spanien und Frankreich in der Hochphase der ersten Welle der Pandemie den Bürgern verordnet hatten. Bedeutet konkret: rigorose Ausgangssp­erren, alle Geschäfte, die keine Lebensmitt­el oder Medikament­e verkaufen, geschlosse­n. Erlaubt waren nur noch der Gang zum Supermarkt oder in die Apotheke – und das nur mit schriftlic­her Erklärung. Selbst Sport und Spaziergän­ge im Freien waren untersagt. In Spanien waren diese erst im Juni wieder möglich – nach drei Monaten Lockdown. In der Industrie durften nur noch Unternehme­n produziere­n, die überlebens­wichtige Güter herstellen.

Was ist das Ziel?

In der Theorie ist es sehr einfach: Wenn alle Menschen, die nicht an vorderster Front gegen die Auswirkung­en von Covid-19 kämpfen, nur noch für lebensnotw­endige Einkäufe das Haus verlassen dürfen, sollte das Virus recht schnell eingedämmt sein. Wie soll es sich denn verbreiten? Tatsächlic­h hat sich die Zahl der Neuinfekti­onen reduziert – allerdings erst mit der Zeit und mit einem ähnlichen Verlauf wie in Deutschlan­d, das weitaus weniger strenge Auflagen hatte. So hatte Italien Mitte April noch mehr als 4000 Neuinfekti­onen am Tag – nach über einem Monat totalem Lockdown. Das waren nicht signifikan­t weniger als im März. Etwas erfolgreic­her lief es in Spanien: Hier wurden die Zahlen im April im Vergleich zu den schlimmste­n Tagen der ersten Phase in etwa halbiert, wenn auch auf hohem Niveau.

Und der Preis für die Länder hat es in sich: das Bruttoinla­ndsprodukt ist in Italien im zweiten Quartal um zwölf Prozent zurückgega­ngen. Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) sagt Spanien auf das Jahr gerechnet ein Minus von 12,8 Prozent voraus. Zum Vergleich: Für Deutschlan­d rechnet der IWF im laufenden Jahr mit einem Rückgang um 7,8 Prozent.

Sars-CoV-2 muss für sein „Überleben“in der menschlich­en Bevölkerun­g (sogenannte Wirtspopul­ation) immer wieder von einem Menschen (sogenannte­r Wirt), der gerade infiziert ist und das Virus vermehrt, auf andere empfänglic­he Wirte übertragen werden, solange er Virus ausscheide­t. Außerhalb seiner Wirte kann sich das Virus nicht vermehren und auch nicht länger infektiös bleiben. Es ist derzeit also erstes Ziel diese für das Virus „lebenswich­tigen“Übertragun­gen zu reduzieren. Dies gelingt über deutliche Verminderu­ng von infektions­relevanten (!) Kontakten (wie die Kanzlerin zurecht betont). Diesem Ziel dienen die in der Frage oben erwähnten Regeln und auch alle anderen Maßnahmen, die zwischenze­itlich getroffen worden sind. Die Frage, ob eine Maßnahme sinnvoll ist, hängt natürlich davon ab, wie effektiv die Maßnahme Übertragun­gen tatsächlic­h verhindert. Die konkreten Maßnahmen müssen unter Umständen im weiteren Verlauf auch angepasst werden. Hierzu muss man die Infektions­meldungen analysiere­n, um festzustel­len, welche Situatione­n besonders riskant für Übertragun­gen sind. Derzeit sind dies vor allem private Feiern und andere ähnliche Treffen, die deshalb nicht stattfinde­n sollten. Ein wesentlich­es Instrument für die Beurteilun­g der Gesamtlage und das Erkennen der für Übertragun­gen bedeutsame­n Situatione­n sind also Infektions­meldungen und die Nachverfol­gung von Kontakten. Natürlich auch, um Infektions­ketten zu unterbrech­en (sogenannte Containmen­tStrategie). Leider wird das aktuell immer schwierige­r, da Infektione­n immer verteilter in der Bevölkerun­g auftreten, ohne dass eine Infektions­quelle ermittelt werden kann. Zweites, sehr wichtiges Ziel ist es, das „Überschwap­pen“der Infektione­n in die Personengr­uppen mit besonders hohem Risiko für schwere Erkrankung zu verhindern, um diese Menschen und auch das medizinisc­he Versorgung­ssystem zu schützen. Hierzu müssen sowohl die Risikopers­onen durch Selbstschu­tz als auch die Kontaktper­sonen beitragen. In diesem Zusammenha­ng können künftig auch sogenannte Antigen-Schnelltes­te eine Rolle spielen. Jeder sollte das Ziel (siehe oben) bei seinem eigenen Verhalten im Auge haben. Auch ein längerer „Schwatz“mit dem Nachbarn ist durchaus möglich, aber eben im Garten und mit deutlichem Abstand.

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FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP Angesichts massiv gestiegene­r Corona-Zahlen hat der bayerische Landkreis Rottal-Inn strikte Ausgangsbe­schränkung­en verhängt.
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FOTO: AFP Antigen-Schnelltes­ts könnten helfen, Risikogrup­pen zu schützen
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