Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Der Diktator droht
Lukaschenko will Streikende wie Terroristen behandeln
- Alexander Lukaschenko schlägt Alarm. „Sie haben die rote Linie überschritten“, schimpfte der belarussische Staatschef am Dienstag. Seine Gegner hätten begonnen, Eisenbahnlinien zu blockieren, was viele Todesopfer fordern könne. „Das sind Aktionen organisierter krimineller Gruppen.“Die Staatsmacht stehe Terrorbedrohungen gegenüber und werde dementsprechend reagieren.
Der inzwischen 80 Tage währende Konflikt zwischen Opposition und Präsident eskaliert weiter. Am Sonntag stellten die Minsker einen neuen Rekord auf, an die 200 000 Hauptstädter gingen gegen Lukaschenko auf die Straße. Die Sicherheitskräfte beschossen sie mit Blendgranaten und Gummikugeln. Aber auch über 520 Festnahmen hinderten Tausende Rentner, Fabrikarbeiter und Studenten am Montag nicht an neuen Protesten. Wieder landeten im ganzen Land knapp 600 Menschen hinter Gitter.
In der Nacht zuvor war ein Rücktritts-Ultimatum von Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja an Lukaschenko ausgelaufen. Die Opposition hatte für diesen Fall Streiks und Verkehrsblockaden angekündigt.
Auch am Dienstag gingen die Proteste weiter. Die Studenten zahlreicher Universitäten veranstalteten Sitzstreiks oder gingen auf die Straße, um den allgemeinen Boykott gegen den Staat zu unterstützen, ebenso Gymnasiallehrer und Mediziner. In Grodno, wo schon am Montag zwei Zechen der Chemiefabrik „Grodno Asot“, eines der größten Betriebe des Landes, gestreikt hatten, verweigerten nach Angaben des Streikkomitees auch am Dienstag ganze Schichten die Arbeit. Ein Großteil der Belegschaft habe sich krank gemeldet, die
Direktion suche nach Arbeitswilligen. Ein Firmensprecher sprach dagegen von einem Fake-Streik.
Offenbar funktioniert der von der Opposition ausgerufene Generalstreik nicht überall. Von 18 800 Arbeitern hätten bisher nur 43 die Arbeit niedergelegt, sagte Gleb Sandras, Sprecher des Streikkomitees beim Düngerkonzern „Belaruskali“, der „Schwäbischen Zeitung“. „Leider haben 26 Jahre unter Lukaschenko ihre Wirkung hinterlassen. Viele Leute haben Angst, haben sich an dieses Leben gewöhnt, jetzt wachen sie nicht so schnell und zahlreich auf, wie wir uns das wünschen.“Allerdings würden viele Arbeiter bei „Belaruskali“wie in anderen Fabriken am Arbeitsplatz nichts oder nur sehr wenig tun. Am Dienstag ließen zudem zahlreiche Restaurants und Kleinunternehmer die Arbeit ruhen.
Die Mehrzahl der belarussischen Analytiker glaubt, dass Lukaschenko die Courage für Massenrepressalien fehlt. „Die Opposition mag ihre Drohungen nur zum Teil verwirklichen können. Aber auch das wird Nerven, Organisation und Ansehen des Regimes weiter zerrütten“, schreibt der Politologe Pjotr Rudkowski in der Internetzeitung Naviny.