Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Man muss viel um die Ecke rechnen“
Statistikerin fordert bessere Daten als Entscheidungsgrundlage für Corona-Maßnahmen
- Zahlen, Zahlen, Zahlen. In der Pandemie folgt eine Kennziffer auf die nächste. Alle sollen ihren Anteil zur Erklärung der Lage der Nation leisten. Doch Statistiker könnten noch viel mehr zur Bekämpfung des Coronavirus beitragen, wenn man ihnen etwas bessere Daten zur Verfügung stellen würde, kritisiert Katharina Schüller, Geschäftsführerin einer Statistik-Beratungsfirma sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft (DStatG) im Interview mit Dominik Guggemos. Aus Schüllers Sicht könnten mit relativ einfachen Mitteln Maßnahmen wie der neue Lockdown verhindert werden.
Frau Schüller, wie könnte man Statistikern helfen, die Pandemie besser zu verstehen? Was ist aus Ihrer Sicht das statistische Problem an der aktuellen Teststrategie?
Menschen werden aus einem konkreten Grund getestet: weil sie Symptome haben oder in Berufsgruppen mit hoher Gefährdung arbeiten. Das alles gibt keinen Aufschluss über die Verbreitung in der Gesamtbevölkerung.
Man geht ja auch nicht auf einen CDU-Parteitag, um dort eine Wahlumfrage für die Gesamtbevölkerung zu machen.
Richtig. Aber um Maßnahmen zu entwickeln, brauchen wir verlässlichere Daten. Sonst kann man nicht hochrechnen und die wichtige Dunkelziffer nur indirekt bestimmen.
Stichwort Dunkelziffer: Wie hoch ist die bei Corona? Reiserückkehrer kommen einer zufällig ausgewählten Gruppe am nächsten. Sind diese Zahlen für Sie aussagekräftiger?
Das Problem ist, dass auch das keine repräsentative Gruppe ist. Es gibt eine Verzerrung, nur in die andere Richtung. Menschen in Pflegeheimen gehen nicht mehr auf Reisen. Immerhin kann man aus den Reiserückkehrern gewisse Schlüsse über die Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen ziehen.
Eines der Hauptargumente für den neuen Lockdown ist, dass die Gesundheitsämter bei 75 Prozent der Infizierten nicht mehr nachvollziehen können, wo diese sich infiziert haben. Reichen die restlichen 25 Prozent nicht aus, um zielgerichtetere Maßnahmen zu beschließen?
auch immer das RKI das wissen will, frage ich mich, warum sie seit sechs Monaten die Zahlen veröffentlichen. Ich sehe ehrlich gesagt keinen Grund, warum die Daten in irgendeine Richtung plötzlich erheblich verzerrt sein sollten.
Könnte es sein, dass Menschen, die sich auf privaten Feiern angesteckt haben, ihre Infektion eher verschweigen,?