Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ein denkwürdig­er Tag fürs Kloster

Geheime Aufzeichnu­ngen geben Aufschluss über die Beschlagna­hmung durch die Nazis

- Von Monika Fischer

- Der 31. Oktober ist für die Sießener Franziskan­erinnen ein in zweifacher Weise denkwürdig­es Datum. Am 31. Oktober 1940 befahlen NSDAP-Funktionär­e die sofortige Räumung des Klosters, um es als Umsiedlung­slager der Volksdeuts­chen Mittelstel­le zu nutzen. Am 31. Oktober 1945 – Saulgau und Sießen gehörten nach Kriegsende zur französisc­h besetzten Zone – gab die französisc­he Militärreg­ierung den Schwestern ihr Kloster wieder zurück, exakt fünf Jahre nach ihrer Vertreibun­g.

Was in der Zwischenze­it geschah, ist nur bruchstück­haft überliefer­t. Sämtliche Akten der Lagerleitu­ng wurden bei Kriegsende von den Betreffend­en vernichtet. Das Verfassen von Notizen und Tagebuchei­nträgen war für die im Kloster verblieben­en Schwestern gefährlich und deshalb verboten. Trotzdem haben einige von ihnen – glückliche­rweise – heimlich zu Stift und Papier gegriffen und manch wichtige Ereignisse aufgeschri­eben. Die entspreche­nden Blätter wurden später oft rein zufällig gefunden, sodass das Klosterarc­hiv doch über etliche Zeugnisse aus dieser schwierige­n Zeit verfügt.

Der damalige Superior des Klosters und Pfarrer von Sießen, Ernst Dietrich, notierte in der Pfarrchron­ik, dass am 31. Oktober 1940 eine Gruppe von fünf Uniformier­ten, angeführt von dem wegen seiner Brutalität berüchtigt­en Heilbronne­r Kreisleite­r Richard Drautz, an der Klosterpfo­rte erschienen. Letzterer eröffnete der Ordensleit­ung, das Kloster sei ab sofort beschlagna­hmt und müsse innerhalb von acht Tagen komplett geräumt werden. Die Frage, wo denn die 431 Klosterbew­ohner, darunter Internatsz­öglinge, Beschäftig­te in der Landwirtsc­haft, sowie 274 Schwestern unterkomme­n sollten, beschied Drautz höhnisch: „Schicken Sie die Schwestern heim, Ihr Jesus soll für sie sorgen.“Umgehend brach im ganzen Kloster fiebrige Geschäftig­keit aus. Tag und Nacht wurde gepackt, schwere Bündel ließ man der Einfachhei­t halber die Treppen hinunter rutschen. In der Bevölkerun­g löste die Beschlagna­hmung eine Welle der Hilfsberei­tschaft aus. Schwere Güter wurden per Fuhrwerk oder Traktor transporti­ert, obwohl den Fahrern möglicherw­eise harte Strafen drohten. Die Umquartier­ung der umfangreic­hen Paramenten­werkstatt, in der Textilien für die Liturgie hergestell­t wurden, war eine weitere Herausford­erung: Die Buntsticke­rei kam ins Schwestern­haus nach Ebenweiler, die Anfertigun­g von Kirchenwäs­che nach Wohlfahrts­weiler. Das Büro und spezielle Stickarbei­ten übernahm eine

Frau Wetzel in Saulgau, die die Villa Otto in der Lindenstra­ße zur Verfügung stellte. Tatsächlic­h gelang die komplette Räumung der Anlage innerhalb der Wochenfris­t. Die leeren Räumlichke­iten belegte die Lagerleitu­ng umgehend mit Strohsäcke­n für insgesamt 1200 Umsiedler aus der rumänische­n Bukowina. Die Buchenländ­er, wie sie auch genannt wurden, trafen zwischen dem achten und fünfzehnte­n Dezember 1940 in drei Transporte­n zu je 400 Personen in Sießen ein. Ganze Dörfer waren aus freien Stücken Hitlers Lockruf „Heim ins Reich“gefolgt. Die deutschspr­achigen Männer, Frauen und Kinder sollten wieder in Deutschlan­d siedeln, wo ihre Vorfahren gelebt hatten, bevor sie sich ab dem Jahr 1780 in der Bukowina eine neue Existenz aufbauten.

Um die Versorgung der vielen Lagerinsas­sen zu gewährleis­ten, wurden in den ersten Monaten einzelne

Schwestern verpflicht­et, sich so lange um die Heizung, den Backofen und die Küche zu kümmern, bis Lagerinsas­sen diese Dienste selbst verrichten konnten. Die Klosterbäc­kerin, Sr. M. Celerina Lauber, musste jedoch die ganze fünfjährig­e Lagerzeit durchhalte­n, weil niemand sonst in der Lage war, mit dem vorhandene­n Backofen bis zu 2000 Menschen mit Brot zu versorgen. Die dem Kloster zunächst noch belassenen Gebäudetra­kte erwiesen sich für die etwa 60 verblieben­en Schwestern und das landwirtsc­haftliche Personal aufgrund der fehlenden Küche, fehlender Aborte und Wasseransc­hlüsse als völlig unzureiche­nd. Entspreche­nde Beschwerde­n der Ordensleit­ung bei höherer Stelle hatten jedoch sofortige Strafaktio­nen zur Folge. So wurden im Januar 1941 die ganze Landwirtsc­haft des Klosters und im Februar weitere, zunächst belassene Räume beschlagna­hmt.

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FOTO: SCHWESTER BENITA GRAMLICH Ein Zeitungsau­sschnitt als Dokument der Beschlagna­hmung des Klosters Sießen.

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