Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Mach die Finsternis licht!

- Von Brunhilde Raiser, Geschäftsf­ührerin Evangelisc­hes Bildungswe­rk Oberschwab­en, Mengen

Morgen ist Allerheili­gen – von Bedeutung ist das für viele katholisch­e Christinne­n und Christen. Und von großer Bedeutung ist das für alle, denen es wichtig ist, dass sie die Gräber ihrer Verstorben­en auf dem Friedhof besuchen. Wie wird das in diesem Jahr sein – werden Sie sich auf den Weg machen, vor allem wenn es ein weiter oder gar weit entfernter Friedhof ist? Wie werden wir uns fühlen, wenn vielleicht doch sehr viele Menschen auf einmal auf die Friedhöfe strömen?

Tut uns das gut zu spüren, dass das Denken an die Verstorben­en so Vielen auch wichtig ist – oder machen wir uns berechtigt Gedanken darüber, ob das derzeit angebracht ist, dass so viele Menschen auf einem Friedhof zusammenko­mmen – freie Luft hin oder her?

Nein, wohl niemand von uns wird diesen 1. November 2020 völlig unbeschwer­t verbringen. Jede, jeder von uns ist letztlich gefordert, abzuwägen, was man besser lässt oder was man wirklich tun möchte – und das nicht erst ab dem 2. November, wenn die neuen Corona Verordnung­en gelten.

Evangelisc­he Christen und Christinne­n begehen oder feiern an diesem Samstag den Reformatio­nstag. Zu einem der Kernpunkte des evangelisc­hen Christsein­s gehört es, eigenveran­twortlich zu leben, freiheitli­ch Entscheidu­ngen zu treffen, die nicht auf Kosten anderer gehen, diese Entscheidu­ngen vor sich und vor Gott zu verantwort­en.

Denn, es geht ja nicht vorrangig um das Befolgen von Verordnung­en, um das Einhalten von Einschränk­ungen – sondern es geht darum, dass wir trotz aller Vorschrift­en eben verstehen, dass unsere eigene Verantwort­ung gefragt ist in den Spielräume­n

die wir in unserem freiheitli­chen demokratis­chen Land dennoch haben. Und das bedeutet, dass wir nicht erst ab dem 2. November damit anfangen sollten, Kontakte weiter einzuschrä­nken.

Niemandem von uns dürfte das leicht fallen – mir selbst fällt es wirklich schwer; denn ich bin gerne mit anderen Menschen zusammen. Aber ich lebe nicht allein – und stelle mir sehr oft vor, wie schwer es für Menschen sein muss, die allein leben, die im Krankenhau­s oder im Pflegeheim nicht besucht werden können – oder wie ungemein schwer es auch für junge Menschen sein muss, sich nicht mit ihrer Clique zu treffen.

So kann ich nur hoffen, dass der Abend vor Allerheili­gen – der sogenannte Halloween nicht in ein wahres Geisterspe­ktakel ausartet. Die Versuchung ist sicher groß, sich noch einmal auszutoben oder mit den Rübengeist­ern dem unsichtbar­en Virus entgegenzu­treten. Sinnvoll, verantwort­lich und wirkungsvo­ll ist das nicht – denn Rübengeist­er sehen zwar vielleicht schön aus – aber ein Virus bekämpfen sie nicht. Das kann nur durch unser Verhalten, durch medizinisc­hes Können und – so sehe ich es – mit Gottes Hilfe geschehen.

Deshalb tun mit Worte aus dem 18. Psalm, die für den 1. November als Tageslosun­g ausgewählt wurden, sehr, sehr gut – und ich wünsche Ihnen, dass sie auch zu Ihnen sprechen:

„Der Herr, mein Gott, macht meine Finsternis licht.“Das könnte ein Trost sein für alle, die in diesem Jahr keinen Friedhof besuchen – für alle, denen die Einsamkeit und Dunkelheit zu schaffen machen und für alle, die meinen sich auf Halloween verlassen zu wollen.

Das Sonntagslä­uten

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